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Crash

Crash

Titel: Crash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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wies einen Riß auf, der groß genug war, einen Fahnenmast aufzunehmen, oder aber, was wahrscheinlicher war, einen Penis. Vielleicht waren diese Male innerhalb des Kontext imaginärer Dramen von den jeweiligen Gesellschaften angebracht worden, von Schauspielern, die aufrechte Detektive oder finstere Schurken spielten, Geheimagenten oder flüchtige Millionenerbinnen. Das abgegriffene Lenkrad enthielt das Fett Hunderter Hände in seinen Kerben, die es in Stellungen gehalten hatten, welche ihnen vom Regisseur oder vom Kameramann angegeben worden waren.
    Während ich mich im Verkehrsstrom der Western Avenue dahinbewegte, stellte ich mir vor, in dieser gewaltigen Anhäufung von Fiktionen zu sterben, sah meinen Körper von den Abdrücken Hunderter Fernsehserien gezeichnet, von den Signaturen längst vergessener Dramen, die, Jahre nachdem sie in den Archiven der Sendeanstalten verschwunden waren, ihre letzten Spuren auf meiner Haut hinterlassen würden.
    Da mich diese seltsamen Gedanken verwirrten, befand ich mich an der Gabelung der Schnellstraßen plötzlich auf der falschen Spur. Der schwere Wagen mit dem leistungsfähigen Motor und den überempfindlichen Bremsen erinnerte mich daran, daß es zu ambitiös von mir war, auch nur daran zu denken, ich könnte seinen mammutähnlichen Konturen meine Verletzungen und Erfahrungen aufprägen. Ich beschloß, einen Wagen vom selben Modell wie mein altes Auto zu mieten, und schwenkte in die Zufahrtsstraße zum Flughafen ein.
    Ein langer Verkehrsstau blockierte die Tunnelzufahrt, daher lenkte ich ein kurzes Stück über die Gegenfahrbahn und fuhr in den Parkplatz der Flughafenplaza hinein, ein weitflächiges Gebiet mit Transithotels und Supermärkten, die rund um die Uhr geöffnet hatten. Als ich von der der Tunnelzufahrt am nächsten gelegenen Tankstelle wegfuhr, fielen mir drei Flughafenhuren auf, die auf einer schmalen Verkehrsinsel auf und ab gingen.
    Als sie meinen Wagen sahen, demzufolge sie mich wahrscheinlich für einen amerikanischen oder deutschen Touristen hielten, kam die älteste der drei Frauen auf mich zu. Sie stolzierten im Abendlicht auf dieser Verkehrsinsel dahin und betrachteten die vorbeirasenden Fahrzeuge, als würden sie versuchen, Reisende auszusuchen, die darauf warteten, den Styx zu überqueren. Die drei Frauen - eine stattliche Brünette aus Liverpool, die schon überall gewesen und alles getan hatte, was unter der Sonne möglich ist, eine plumpe und dümmliche Blondine, der Catherine deutlich den Vorzug gab, was ich aus der Art schließen konnte, wie sie manchmal auf sie deutete, und schließlich noch eine ältere Frau mit müdem Gesicht und schweren Brüsten, die einst als Angestellte einer Tankstelle an der Western Avenue gearbeitet hatte - schienen eine grundlegende sexuelle Einheit zu bilden, die auf die eine oder andere Art imstande schien, jeden Kunden zufriedenstellen zu können.
    Ich hielt bei der Verkehrsinsel an. Die ältere Frau trat näher, nachdem ich ihr zugenickt hatte. Sie lehnte sich gegen die Beifahrertür, ihr kräftiger Arm drückte gegen den verchromten Fensterrahmen. Als sie eingestiegen war, winkte sie ihren beiden Kolleginnen zu, deren Augen wie die Scheibenwischer auf die lichtüberfluteten Windschutzscheiben der vorüberfahrenden Wagen flackerten.
    Ich folgte dem Verkehrsstrom zum Flughafentunnel. Der Körper der Frau, die in dem amerikanischen Wagen neben mir saß, der der unbekannte Held so vieler zweitklassiger Fernsehserien gewesen war, machte mir plötzlich meine schmerzenden Knie und Schenkel bewußt. Ungeachtet der Servolenkung und der Bremskraftverstärker war der amerikanische Wagen auf Dauer ermüdend zu fahren.
    »Wohin fahren wir?« fragte sie mich, als wir aus dem Tunnel herauskamen und ich zu den Flughafengebäuden lenkte.
    »Zum Parkhaus - die oberen Stockwerke sind abends immer verlassen.«
    Am Flughafen und in den umliegenden Vororten residierte eine lockere Hierarchie von Prostituierten - in den Hotels und Diskotheken, wo nie Musik gespielt wurde, saßen sie geduldig neben den Schlafzimmertüren und warteten auf die Tausende von Transitreisenden, die den Flughafen niemals verließen; eine zweite Schwadron arbeitete in den Unterführungen zwischen den Gebäuden und Restaurants; und darüber hinaus existierte noch ein ganzes Heer von Freischaffenden, die auf täglicher Basis Zimmer in den Apartmentkomplexen entlang der Schnellstraßen mieteten.
    Wir erreichten das Parkhaus hinter der Luftfrachtabfertigung. Ich fuhr

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