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Crash

Crash

Titel: Crash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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im Zeitalter des Verkehrsunfalls entstanden war, würde sich auch mein eigener kleiner Tod befinden, so anonym wie ein versteinertes Fossil in einer Kalkablagerung.
    Hundert Meter hinter uns parkte ein staubiges amerikanisches Auto auf dem Seitenstreifen. Der Fahrer betrachtete mich durch die schlammbespritzte Windschutzscheibe, seine breiten Schultern waren gegen den Türrahmen gelehnt. Als ich die Straße überquerte, griff er nach einer Kamera mit Teleobjektiv und sah mich durch das Okular an.
    Renata betrachtete ihn über die Schulter. Auch sie war, wie ich, von seiner aggressiven Pose überrascht. Sie öffnete mir die Tür.
    »Kannst du fahren? Wer ist das — ein Privatdetektiv?«
    Nachdem ich mich wieder in die Western Avenue eingefädelt hatte, schritt die mit einer Lederjacke bekleidete Gestalt zu der Stelle, wo wir geparkt hatten. Da ich neugierig war, wie sein Gesicht aussehen würde, wendete ich am Kleeblatt erneut.
    Wir fuhren wenige Meter an ihm vorbei. Er schlenderte mit lockerem Gang zwischen den Reifenspuren auf dem Straßenbelag dahin, als wurde er gedankenverloren einer unsichtbaren Spur folgen. Das Sonnenlicht beleuchtete Narben auf seiner Stirn und um den Mund herum. Als er zu mir herüberblickte, erkannte ich den jungen Arzt, den ich zuletzt vor dem Zimmer Helen Remingtons im Unfallkrankenhaus von Ashford gesehen hatte.

    Kapitel Sechs

    Im Verlauf der folgenden Tage mietete ich einige Autos vom Verleih der Studios, wobei ich jedes verfügbare Modell wählte, angefangen von schweren amerikanischen Straßenkreuzern, bis hin zu schnellen Sportflitzern und einem italienischen Kleinwagen. Was als ironische Geste begonnen hatte, hauptsächlich um Catherine und Renata zu provozieren, da beide Frauen wünschten, daß ich nie mehr Auto fahren sollte, nahm bald eine völlig andere Gestalt an. Mein erster kurzer Ausflug zum Unfallort hatte erneut den Geist des toten Mannes erweckt, und zusätzlich, was noch wichtiger war, Gedanken an meinen eigenen Tod. In jedem der Autos, mit denen ich die Unfallstrecke abfuhr, stellte ich mir ein anderes Opfer und einen anderen Tod, ein anderes Profil von Verletzungen vor.
    Ungeachtet aller Versuche, die Autos gründlich zu reinigen, waren noch Spuren der vorherigen Mieter zu finden - Fußabdrücke auf den Gummimatten unter den Pedalen; eine trockene Zigarettenkippe, die mit einem Lippenstift unmodischer Färbung verschmiert war und die ein Kaugummi im Aschenbecher festklebte; eine Reihe seltsamer Kratzer, die den Vinylbezug der Sitze wie die Choreografie eines emsigen Bemühens bedeckten, als hätten zwei Krüppel versucht, einander gegenseitig zu vergewaltigen. Wenn ich meine Füße auf die Pedale senkte, war ich mir all dieser Fahrer bewußt, des Volumens, welches ihre Körper eingenommen hatten, ihrer Bestimmung, ihrer Ausflüchte, ihrer Langeweile, die jede meiner eigenen Reaktionen vorherbestimmten. Und da ich mir all dieser Überlagerungen bewußt war, mußte ich mich zum vorsichtigen Fahren zwingen, wenn ich der herausragenden Lenksäule und den Frontscheibenvisieren die Möglichkeit meines eigenen Körpers darbot.
    Zunächst folgte ich rastlos den Außenstraßen südlich vom Flughafen und bemühte mich, die unvertrauten Kontrollen um die Wasserreservoirs in der Gegend von Stanwell herum zu erkunden. Von dort aus fuhr ich um die östliche Flanke des Flughafens zur Schnellstraßenkreuzung bei Harlington, wo mich der Stoßzeitenverkehr wie eine gewaltige Gezeitenwoge wieder zur Western Avenue zurückspülte. Doch unweigerlich fand ich mich um die Stunde meines Unfalls wieder am Fuß der Auffahrt zur Überführung und fuhr entweder am Unfallgebiet vorbei, wenn mich der Verkehrsstrom unentrinnbar bis zur nächsten Ampel zog, oder aber ich stand nur zehn irrsinnige Schritte vom exakten Unfallort entfernt im Stau.
    Als ich den amerikanischen Straßenkreuzer mietete, sagte der Angestellte zu mir: »War eine verdammte Arbeit, den Wagen wieder sauberzumachen, Mr. Ballard. Eine Ihrer Fernsehgesellschaften hatte ihn gemietet - überall am Dach, an den Türen und auf der Motorhaube waren Kameraklammern angebracht.«
    Die Bemerkung, daß der Wagen als Teil eines imaginären Ereignisses benützt wurde, ging mir durch den Kopf, als ich von der Garage in Shepperton wegfuhr. Wie die anderen Wagen, die ich bisher gemietet hatte, war auch dieser von Absatzabdrücken, Zigarettenkippen und Kratzern gebrandmarkt, die das herrliche Detroiter Design verunzierten. Der rosa Vinylsitz

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