Crashkurs
ist daraus geworden? Wer auf den Hype reingefallen ist, saß wenige Monate später mit rotverweinten Augen vor seinem Bankberater. Der hatte natürlich auch ins gleiche Horn geblasen und beruhigte den Anleger jetzt mit den Worten: »Das müssen Sie langfristig sehen. In Zukunft kann es mit den Lebensmittelpreisen nur nach oben gehen.« Natürlich hofft er, dass seine Kunden es langfristig sehen – mindestens so lange, bis er die Zweigstelle gewechselt hat, bevor ihnen der Kragen platzt.
Noch ein Wort zur Spekulation mit Lebensmitteln: Ich halte es für einen der größten Skandale unserer freien Wirtschaftswelt, dass hemmungslose Spekulation mit Grundnahrungsmitteln überhaupt möglich ist. Wenn ich Aktien kaufe, stelle ich der Aktiengesellschaft Geld zur Verfügung, damit sie Ertrag erwirtschaftet und im Idealfall auch noch Arbeitsplätze schafft und die Wirtschaft insgesamt voranbringt. Das nenne ich investieren, um etwas zu schaffen und weiterzuentwickeln. Wenn ich Öl oder Gold kaufe, in der Hoffnung, dass die Preise steigen, dann ist das kein Investieren, sondern Spekulieren. Ich wette nur auf den Preisanstieg. Wenn viele Marktteilnehmer Gold kaufen, weil sie auf einen steigenden Goldpreis wetten, steigt die Nachfrage, und der Goldpreis schießt tatsächlich in die Höhe. Daraus entsteht jedoch kein großer Schaden, außer dass Gold für die Industrie teurer wird oder auch die Schmuckhersteller ihre Preise anheben müssen. Das tut niemandem wirklich weh. Aber wenn ich mit Grundnahrungsmitteln spekuliere, sieht die Sache ganz anders aus.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Wir legen alle jeweils nur 100 Euro im Monat als Sparrate in einen Rohstofffonds. Da kommen weltweit einige Milliarden zusammen. Der Rohstofffonds kauft dann am Terminmarkt Weizen oder Reis. Daraufhin steigt der Reispreis. Nicht weil ich den Reis essen will, sondern nur weil ich mir mal eben einige Tonnen virtuell in die Garage gepackt habe, um sie später zu einem höheren Preis an die Hungernden zu verkaufen. Ich kaufe also mit meinem Rohstoffinvestment an der gleichen Börse den gleichen Reis wie die Familie in Indonesien. Für die Familie macht es der Großhändler, für mich der Fondsmanager. Das Problem der Hungernden in diesen Ländern besteht nicht darin, dass kein Reis da ist, sondern darin, dass sie ihn sich nicht leisten können, weil er zu teuer ist. Und ich bin derjenige, der den Preis mit nach oben treibt, um dann am Elend und der Not dieser Menschen zu verdienen.
Ich gebe Ihnen ein anschauliches Bild: In einer abgelegenen Gegend steht ein einziger Stand mit Lebensmitteln. Davor befindet sich eine Schlange hungriger Menschen, die darauf hoffen, dass ihre wenigen Münzen ausreichen, um die mitgebrachte Reisschale zu füllen. Da kommt der reiche Spekulant von hinten angerannt und schreit: »Ich kaufe den ganzen Stand!« Danach erhöht er die Preise um 50 Prozent und freut sich diebisch über seinen Profit, während die Menschen in der Schlange enttäuscht und mit nur halb gefüllten Reisschalen zu ihren wartenden Kindern zurückgehen.
Genau das tun wir im Prinzip, wenn wir mit Grundnahrungsmitteln zocken. Daher bin ich ausdrücklich für ein striktes Verbot von Spekulationsgeschäften jeder Art mit den Grundnahrungsmitteln Weizen, Reis, Mais, Getreide und – schon mal vorsorglich für die Zukunft – Trinkwasser.
Im August 2008 hat die ARD den international vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm We feed the world von Erwin Wagenhofer ausgestrahlt, in dem ein Vorstand eines der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt darüber schwadroniert, dass es kein Grundrecht der Menschen auf kostenloses Trinkwasser gebe. Trinkwasser sei ein Produkt wie jedes andere, und dafür müssten die Menschen in Zukunft eben bezahlen. Wenn es sich manche nicht leisten könnten, wäre das nicht sein Problem. Zumindest sinngemäß hat er das gesagt.
Es scheint also nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Trinkwasser auf Termin gehandelt wird. Was kommt als Nächstes? Saubere Atemluft? Einmal kurz einatmen für 3 Cent, einmal tief durchatmen für 10 Cent? Wie pervers kann unser System noch werden? Was ist zu abwegig, um es sich vorzustellen?
Es ist absolut nichts dagegen einzuwenden, wenn Landwirte ihre Ernte auf Termin an ihre Abnehmer verkaufen, um die Erträge frühzeitig kalkulieren zu können. Alle Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Produzenten über jetzige und künftige Abnahmepreise sind vollkommen in Ordnung. Natürlich soll
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