Crazy Moon
sechs Sonnenbrillen purzelten heraus und keine war wie die andere: RayBans, Schmetterlingsbrillen mit perlmuttfarben schimmernden Fassungen, bombastische Spiegelbrillen im Seventies-Look.
|54| »Ups.« Er langte über mich hinweg, sammelte sie vom Boden auf, tauschte sein rotes Exemplar gegen ein grünes aus, das er sofort aufsetzte, stopfte die restlichen Brillen wieder ins Handschuhfach und ließ energisch die Klappe einrasten. Sie fiel sofort wieder runter.
»Mist!« Er schloss sie noch einmal.
Und wieder sprang die Klappe auf, wieder fielen Sonnenbrillen aus dem Handschuhfach. »Gehören die alle dir?«
»Ja.« Dabei haute er mit solcher Wucht gegen das Handschuhfach, dass die Klappe tatsächlich oben blieb. »Ich sammle Sonnenbrillen.« Er ließ den Wagen an. »Brauchst du eine?«
»Nein danke.«
Er zuckte die Achseln. »Wie du willst.«
Wir fuhren rückwärts aus der Ausfahrt.
»Was für Musik hörst du?« Er deutete auf den Kopfhörer des Walkmans um meinen Hals.
»Fierces of Fuquay.«
»Was?«
»Fierces of Fuquay.«
»Nie gehört.« Er wies auf das Kassettendeck: »Schieb rein.«
Das tat ich. Ich hatte nicht zurückgespult, deshalb setzte der Song, ›Bite‹, mittendrin ein und man hörte gerade nichts weiter als den Leadsänger, der mit Volldampf gegen die Drums anbrüllte. Kein günstiger Moment, um der Band und ihrer Musik gerecht zu werden. Norman verzog das Gesicht, als sei ihm jemand auf den Fuß getreten.
Als das Lied vorbei war, fragte er: »Und auf so was stehst du?«
|55| »Ja.« Ich nahm die Kassette aus dem Kassettendeck und legte sie wieder in meinen Walkman.
»Warum?«
»Warum?« Ich klang wie ein Papagei.
»Ja.«
»Einfach so.«
»Shit«, rief er. Ich wollte ihm gerade unmissverständlich klar machen, dass ich das Gleiche von seiner Hippie-Musik oder was auch immer
er
sich anhörte dachte, als ich begriff, was er meinte. Denn er starrte entgeistert zum Last Chance am Ende der Straße hinüber, vor dem exakt in diesem Augenblick zwei riesige Busse einparkten, die viel zu groß für die paar Stellplätze waren. Auf den Bussen stand »Strandausflüge für die ganze Familie«.
»Was ist los?«
»Sorry, wir müssen einen kleinen Zwischenstopp einlegen.« Norman drückte aufs Gaspedal, wir schossen vorwärts und bremsten genau in dem Moment vor dem Restaurant, als sich schnaufend die Bustüren öffneten und die Passagiere im Gänsemarsch auszusteigen begannen, komplett mit Schirmmützen, Badeanzügen und Kindern, die sich an ihren Müttern festklammerten. Norman sprang aus dem Wagen, öffnete die Heckklappe seines Kombis und fischte ein Paar Schuhe aus dem Tohuwabohu auf der Ladefläche. Dann schlängelte er sich blitzschnell durch die Aussteigenden Richtung Eingang.
»Jetzt komm schon!« Er ließ die Schuhe fallen und schlüpfte im Gehen hinein. »Vielleicht brauchen wir dich.«
Ich folgte ihm die Stufen hinauf, wo sich bereits eine Schlange bildete. Die Leute standen dicht hintereinander und wirkten schon jetzt gereizt. Norman drängte sich |56| durch und tönte laut: »Tschuldigung! Wir arbeiten hier!« Die Leute machten zwar Platz, dennoch hatte ich Mühe hinterherzukommen.
Das Erste, was ich sah, als ich das Restaurant betrat, war eine verdatterte Morgan, die vom Tresen aus zusah, wie sich eine immer längere Schlange bildete.
»Hilfe!«, rief sie, als sie Norman sah. Er winkte ihr wortlos zu und verschwand in der Küche. Hinter der Durchreiche konnte ich den anderen Koch sehen, einen älteren Typen mit rotem Wuschelkopf. Isabel sauste mit einem Stapel Speisekarten durchs Lokal. »Mindestens siebzig, alles in allem«, sagte sie zu Morgan.
»Siebzig?« Morgan jaulte auf. »Die spinnen!«
»Wir haben fünfundfünfzig Sitzplätze. Der Rest muss entweder stehen oder warten. Ende der Durchsage.«
»Ich flipp aus.« Morgan sah wie gelähmt zu, während sich die Tische in Windeseile füllten und Isabel bereits von Tisch zu Tisch wetzte, Speisekarten und Besteck verteilte. »Was für ein Chaos!«
»Wie viele?« Norman stand hinter der Durchreiche und brüllte.
»Siebzig«, antwortete Morgan. »Das schaffen wir nie, es sind viel zu viele, wir haben bloß zwei Köche, dieses Restaurant ist einfach zu . . .«
»Mach jetzt nicht schlapp, Morgan.« Isabel drängte sich durch die Menschen zurück zur Theke. »Ohne dich schaffe ich es nicht, okay?«
»Ich kann nicht . . .« Morgan wedelte verzweifelt mit den Händen.
»Klar kannst du«, erwiderte Isabel ruhig. »Du nimmst dir
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