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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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stets aussah, als mache er gerade ein Nickerchen. Der Raum war so klein, dass die Postfächer in mehreren Reihen hintereinander standen und eine ganze Wand einnahmen. Wenn ich über die Mittagszeit gearbeitet hatte, holte ich anschließend unsere Post ab. Dann verließ ich das Restaurant durch die Hintertür, überquerte ein brachliegendes Feld, lief an der großen Autohandlung und dem Drogeriemarkt vorbei und landete direkt vor der Eingangstür des Postamtes.
    Wenn man jahrelang erlebt hat, dass Leute über einen reden oder sich lustig machen, entwickelt man eine Art Radar. Man kann förmlich riechen, wenn sich so etwas zusammenbraut; man hört jedes Tuscheln, jedes Wispern, jede Stimme, die diesen bestimmten gedämpften Tonfall bekommt, in dem unauffällig Gemeinheiten geäußert werden. Ich war inzwischen zwar schon einige Wochen in Colby, aber wie sich dieses Tuscheln anhört, hatte ich nicht vergessen.
    Als ich es deshalb eines Tages hörte, erkannte ich es augenblicklich wieder. Ich stand gerade vor unserem Postfach und holte Rechnungen, einen Scheck von Miras |82| Kartenverlag sowie eine Postkarte meiner Mutter, auf der die Venus von Milo im Aerobic-Anzug abgebildet war, heraus.
    »Du weißt doch, was die Leute über sie sagen.« Die Stimme einer Frau mittleren Alters, scharf und näselnd; sie stand außerhalb meiner Sichtweite hinter einer Reihe Postfächer.
    »Jaja, ich habe so einiges gehört.« Jetzt sprach eine andere Frau. Sie war zwar sehr erpicht darauf, dass ihre Freundin mit dem neuesten Tratsch fortfuhr, hatte nur selbst noch nichts Saftiges beizusteuern. Das hörte ich ihrer Stimme an, denn ich hatte dieses gegenseitige Aufheizen schon viele Male miterlebt, mit mir als Gesprächsthema.
    »Es ist ein offenes Geheimnis.« Die erste Frau raschelte mit ihrer Post. »Ich meine, jeder hat es doch inzwischen mitgekriegt.«
    Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück und lehnte mich gegen die Postfächer. Meine Zunge fuhr über die Innenseite meiner Lippe, über meinen Ring. Ich fühlte bereits alle Symptome. Sie waren nicht mehr aufzuhalten, ich hatte nicht die geringste Kontrolle darüber: Mein Gesicht brannte, so knallrot war ich, und mein Hals war staubtrocken, da konnte ich so viel schlucken, wie ich wollte. Mir war, als stünde ich wieder im Umkleideraum der Sporthalle und hörte, wie Caroline Dawes ihren Freundinnen verkündete, ich hätte Chase Mercer erzählt, dass meine Mutter ihm Geld geben würde, damit er mit mir ausginge. Aber jetzt passierte mir genau das Gleiche plötzlich an einem Ort, wo mich kein Mensch kannte. Dagegen war Caroline Dawes’ Gehetze harmlos gewesen.
    |83| »Sie war von Anfang an so. Seit sie hergezogen ist«, fuhr die erste Frau fort. »Und meiner Meinung nach kann man ihr Benehmen nicht länger mit so genannten persönlichen Eigenheiten rechtfertigen. Denk nur an ihr Fahrrad und wie sie sich anzieht. Aber das Schlimmste ist, dass sie jeden Gammler und Herumstromerer bei sich aufnimmt. Als hätte sie dahinten, wo sie wohnt, eine Art Kommune gegründet. Es ist peinlich für die ganze Stadt, für uns alle.«
    »Warum ist eigentlich noch nie jemand auf die Idee gekommen, ihr zu sagen, wie lächerlich sie sich macht?«, fragte die zweite Frau. »Man möchte wirklich meinen, es sei an der Zeit.«
    »Ich habe es versucht, das kannst du mir glauben.« Die erste Frau seufzte. »Aber es hat keinen Sinn. Sie spinnt! So einfach ist das.«
    Ich holte tief Luft. Sie redeten gar nicht über mich, natürlich nicht. Sie redeten über
Mira
! Ich sah sie vor mir: auf ihrem Fahrrad, wild in die Pedale tretend. Sofort begann mein Gesicht wieder zu brennen.
    »Norm Carswell senior ist außer sich, weil sein Sohn in ihrem Keller haust. Wer weiß denn schon, was wirklich vorgeht da draußen!? Ich möchte mir das gar nicht ausmalen.«
    »Ist das der Football-Spieler? Oder der Basketball-Star, der ein Stipendium für die Universität bekommen hat?«
    »Weder noch«, antwortete die erste Frau. »Ich spreche von dem Jüngsten, der nach Norm benannt wurde. Aber die Carswells waren von Anfang an ratlos, was aus dem Jungen mal werden soll; er will einfach nicht trainieren, keinen Leistungssport treiben wie seine Brüder, und lange |84| Haare hat er auch. Es würde mich nicht wundern, wenn er Drogen nimmt.«
    »Ach so, der. Netter Junge. Letzte Woche hat er mir auf dem Flohmarkt meine alten Sonnenbrillen abgekauft. Angeblich sammelt er so was.«
    »Er ist ein wirklich schwieriger Fall«, meinte die

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