Crazy Moon
Rücksitz. »Halt mal.« Sie drückte mir die Hüllen in die Hand, ließ mich einfach stehen, lief zum Haus, schleuderte, sobald sie auf der Veranda stand, die Schuhe von den Füßen und holte den Hausschlüssel aus seinem Versteck unter dem Blumentopf auf den Stufen, in dem eine verdorrte Pflanze vor sich hin kümmerte. Sie schloss auf, ging hinein und bahnte sich ihren Weg durch CDs und Zeitschriften zur Küche, wobei sie sich halb auszog und die Sachen einfach hinter sich fallen ließ. Ich folgte ihr, jedoch langsamer, und blieb vorsichtshalber bei der Haustür stehen. Isabel öffnete den Kühlschrank, nahm sich ein Bier und entfernte den Kronkorken, indem sie die Kante der Arbeitsplatte als Hebel benutzte. Gierig trank sie ein paar Schlucke, rülpste und stemmte eine Hand in die Hüfte.
»Die Welt wimmelt nur so von hinterhältigen Zicken«, sagte sie.
Da erst trat ich über die Schwelle ins Haus.
|111| Es war leicht zu erkennen, welche Schlafzimmerhälfte Isabel bewohnte. Denn auf der einen Seite stand ein fein säuberlich gemachtes Bett, die Bilder hingen gerade an den Wänden, die Klamotten waren gefaltet und nach Kategorien sowie Farben geordnet. Auf der anderen Seite dagegen herrschte Chaos, überall auf dem Boden, auf dem Bett lag irgendwelcher Krempel rum. Kleider, CDs, Socken, Zeitschriften, BHs, leere Zigarettenschachteln – alles war untereinander vergraben oder gefährlich schief aufeinander gestapelt. Aber was mir am meisten auffiel, war der Spiegel.
Er hing über einer Frisierkommode und war von unzähligen Gesichtern umgeben. Die Fotos bildeten einen Rahmen, der fast einen halben Meter breit war: aus Zeitschriften ausgeschnittene Bilder von blonden, brünetten, rothaarigen Frauen mit hohen Wangenknochen, die verführerisch in die Kamera blickten. Frauen mit dramatischem Make-up, Frauen ohne jegliches Make-up; einige lächelten, andere nicht, aber alle waren knochendürr, wie Models eben sind. Die Fotos waren improvisiert übereinander geklebt, überlappten sich, breiteten sich von den Rändern des Spiegels her aus wie eine Wolke. Dazwischen hingen vereinzelt private Schnappschüsse: Isabel und Morgan, Familienfotos, Babybilder, einige gut aussehende, gut gelaunte Typen. Verglichen mit den Models wirkten die »echten« Menschen kleiner und man nahm jede kleine Unregelmäßigkeit, jeden Makel auf ihren Gesichtern wahr.
»Setz dich.« Mit dem Fuß schob Isabel eine einzelne weiße Sandalette und ein Paar Shorts beiseite, um den Stuhl unter der Frisierkommode hervorziehen zu können. Sie war so vollständig mit Schminkzeug und Fläschchen |112| bedeckt, dass man keinen Quadratzentimeter der Oberfläche sehen konnte – ein wahres Meer aus Fläschchen, Töpfchen und Tuben. Ich betrachtete mein von all den Schönheiten umrahmtes Spiegelbild und fragte mich, was ich hier verloren hatte.
Isabel schob Tiegel und Fläschchen beiseite, damit sie sich an die Kommode lehnen konnte, und nahm noch einen Schluck Bier. »Pass mal auf, Colie, ich muss dir etwas sagen. Und ich sag’s ganz direkt, okay?«
Ich musste nicht lange überlegen. Schlimmer, als es heute schon gewesen war, konnte es nicht mehr werden. »Okay.«
Sie strich sich das Haar hinter die Ohren, atmete einmal tief durch und verkündete: »Meiner Meinung nach solltest du dir dringend die Brauen zupfen.«
Mit so was hatte ich nicht gerechnet.
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden.« Sie stellte sich hinter mich, drehte mein Gesicht Richtung Spiegel. »Und deine Frisur könnte auch eine kleine Veränderung gebrauchen.«
»Meinst du?«, fragte ich unsicher. Statt einer Antwort ging sie zum Schrank, stemmte die Tür auf, zog einen Karton mit Haarfärbemitteln heraus. Und ich hatte gedacht, sie wäre eine echte Blondine.
»Das Schwarz ist einfach zu unregelmäßig. Leider kann man es momentan nicht in einem anderen Ton überfärben, aber wir können zumindest versuchen es noch einmal zu färben, und zwar gleichmäßig. Das ist zwar nicht die perfekte Lösung, aber . . .« Unvermittelt ließ sie den Karton fallen und verließ das Zimmer Richtung Küche. Dort schien sie sämtliche Küchenschränke |113| zu öffnen und zu schließen, während sie Unverständliches vor sich hin murmelte.
Ich wandte mich wieder den Fotos zu und betrachtete jedes einzelne Gesicht. Dabei entdeckte ich eines, das ich bisher noch nicht bemerkt hatte. Es hing ganz oben in einer Ecke. Anscheinend handelte es sich um ein Bild aus einem High-School-Jahrbuch. Das
Weitere Kostenlose Bücher