Crazy Moon
nicht einmal riechen.
Vor dem Restaurant hielt ein Auto. Die Türglocke klingelte, also kamen doch noch Gäste. Ich blickte auf meine Armbanduhr: In einer Minute hätten wir geschlossen gehabt. Durch das Fliegengitter vor der Hintertür konnte ich zwei Mädchen erkennen, die sich an der Theke über die Speisekarte beugten.
Ich wollte gerade aufstehen und hingehen, da stand |105| Isabel schon vor ihnen und zog schwungvoll einen Stift aus ihren Haaren: »Was kann ich für euch tun?« Dabei setzte sie allerdings ihr schnippischstes Gesicht auf, nach dem Motto: Wehe, ihr macht jetzt noch irgendwelche Umstände!
»Wir möchten was zum Mitnehmen bestellen«, sagte eines der Mädchen. »Zwei Cheeseburger, eine Portion frittierte Zwiebelringe und zwei Cola light.«
»Zwei Cheeseburger«, rief Isabel Norman zu und spießte den Bestellzettel auf seinen Ständer. »Dauert ein paar Minuten«, meinte sie zu den Mädchen. Dann kam sie den Flur entlang zur Hintertür, warf mir einen Blick zu und verschwand in der Toilette. Aus der Küche drang nach wie vor Stevie Wonders beschwingte, optimistische Stimme.
Ich schloss die Augen und ließ die Sonne auf mein Gesicht scheinen. Es roch nach Cheeseburgern, mein Magen knurrte. Obwohl ich ständig gegen die Versuchung ankämpfen musste, Junkfood in mich reinzuschlingen, hatte ich fast immer brav meine Kiki-Produkte gegessen, mit Ausnahme einiger Pommes und Zwiebelringe. »Jeder Tag ohne Fett ist ein gewonnener Tag«, hätte meine Mutter gesagt. So lautete auch der Titel einer ihrer Motivations-Kassetten.
Ich hörte, dass hinter mir jemand durch den Flur auf mich zukam, und drehte mich um, weil ich dachte, es sei Isabel. Aber es war nicht Isabel. Es war eines der Mädchen, die an der Theke gestanden hatten. Obwohl ich blinzeln musste, als ich aus dem hellen Tageslicht in den dunklen Flur blickte, erkannte ich sie sofort: Caroline Dawes.
Sie erkannte mich ebenfalls und wirkte genauso überrascht |106| wie ich. Einen kurzen wahnwitzigen Augenblick lang dachte ich tatsächlich, dass vielleicht – nur vielleicht – alles gut werden würde. Wir waren nicht in der Schule. Wir waren nicht einmal in unserer Heimatstadt. Wir waren viele Meilen davon entfernt. Ich lächelte sie an.
»Hilfe!« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Was machst
du
denn hier?«
Aus der Traum!
Augenblicklich kam mir alles wieder hoch, und zwar alles auf einmal: Mein Hals wurde staubtrocken, ich war wieder das fette Mädchen, hatte Pickel im Gesicht und hüllte mich fest in meinen schwarzen Regenmantel, um mich zu verstecken. Nur dass ich jetzt weder meinen Mantel noch jene zwanzig Kilo bei mir hatte. Ich war ohne jeden Schutz, eine leichte Beute.
Caroline lachte. Lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie so laut lachte, drehte sich um und lief zurück in den Gastraum, zur Theke. Sie lief leichtfüßig wie eine Gazelle und ihre Sandalen klatschten bei jedem Schritt auf den Boden wie Applaus zu ihrem Gelächter.
Ich wandte mich wieder den Müllcontainern zu und schloss die Augen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Atem meilenweit zu hören war.
»Wer war das?«, fragte ihre Freundin.
»Colie Sparks.« Caroline lachte immer noch.
»Wer?«
»Ein Mädchen aus meiner Klasse. Die ist so was von primitiv und dämlich, dass es kracht.« Caroline sprach so laut, dass ich sie bis nach draußen deutlich hören konnte. Ich wusste, Norman hörte sie auch, und konnte mir |107| vorstellen, was er jetzt dachte. Aber ich schaffte es nicht, mich umzudrehen und ihn anzusehen. »Die geht echt mit jedem ins Bett. Deswegen ist ihr Spitzname auch ›ein Loch für alle Fälle‹.« Caroline lachte noch lauter.
»Das ist ja fies«, sagte ihre Freundin, aber an ihrem Tonfall hörte ich, dass sie grinste.
»Geschieht ihr recht«, fuhr Caroline fort. »Sie ist die größte Schlampe an unserer Schule. Aber sie selbst hält sich für obercool, weil sie die Tochter von Kiki Sparks ist. Als würde das irgendwen beeindrucken.«
Ich zog die Knie an die Brust und vergrub meinen Kopf zwischen den Beinen. Ich war wieder in der Schule, im Umkleideraum, an dem Tag, als Caroline und ihre Clique meine Sporttasche geöffnet, meine Unterhose, Marke Elefantengröße, rausgeholt und überall rumgezeigt hatten.
Jedes Mal, wenn ich dachte, noch schlimmer könnte es nicht werden, lag ich falsch.
An Miras Stelle hätte ich so getan, als wäre nichts. An Morgans Stelle wäre ich aufgestanden,
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