Crazy Moon
.«
Sein Blick wanderte zur Staffelei. »Es ist fertig, Colie.«
»Was?«
»Ja.« Er drehte sich um, durchquerte den Raum und stellte den Pinsel in die alte Kaffeebüchse. »Die letzten Kleinigkeiten habe ich vor ungefähr einer Stunde gemacht.«
»Warum hast du mich nicht gleich geweckt?«
»Weiß nicht. Vielleicht, weil du aussahst, als würdest du was Schönes träumen.«
Ich stand auf, reckte mich und wollte ebenfalls zur Staffelei gehen. »Okay, lass mal sehen.«
Wie ein Blitz stellte er sich mir in den Weg – wenn er wollte, war Norman echt verdammt schnell – und blockierte |256| dadurch meine Sicht auf die Staffelei. »Moment!«
»Ich fass es nicht! Jetzt hab ich so lange gewartet und darf es immer noch nicht anschauen? Du hast versprochen, wenn es fertig ist, darf ich es sehen.«
»Ich weiß. Und ich werde es dir auch zeigen. Trotzdem . . . es soll ein besonderer Moment sein.«
»Ein besonderer Moment.«
»Ja. Pass auf, morgen Abend koche ich für uns, okay? Und danach führe ich es dir vor, richtig offiziell, mit Enthüllung und allem Drum und Dran. Wie bei einer Einweihung. Damit du von Anfang an den richtigen Eindruck bekommst.«
»Norman, wehe, du verarschst mich . . .«
»Nein, ich schwöre.« Er hob die Schwurhand, damit ich ihm auch wirklich glaubte. »Erst Abendessen, danach Enthüllung. Es wird super, glaub mir.«
»Okay.« Das war ein Date, ein richtiges Date. »Ich werde da sein.«
Wir wünschten einander eine Gute Nacht, und als ich ums Haus herumging, fiel mir mein Traum wieder ein. So überraschend, so abrupt, dass ich wie angewurzelt stehen blieb.
Ich war am Strand und küsste einen Jungen. Die Sonne schien mir ins Gesicht, warm und hell, wie an den Nachmittagen, an denen ich vor dem Hintereingang des Last Chance auf den Stufen gehockt hatte. Der Kuss war schön; ich fühlte mich glücklich, lehnte leicht den Kopf zurück und lächelte den Jungen, der mich geküsst hatte, an.
Norman.
»Wahnsinn!«, sagte ich laut und fuhr zusammen, weil |257| mich meine eigene Stimme erschreckt hatte. Ich blieb einfach weiter stehen, mitten im Garten. Kater Norman, der sich auf der Veranda fläzte und die Pfoten leckte, starrte mich verdutzt an.
Du sahst aus, als würdest du was Schönes träumen,
hatte er gesagt. Und als ich ihm mein Leben erzählt hatte, war er bei mir geblieben, ganz nah. Bis wir quitt waren.
Plötzlich sah ich Autoscheinwerfer, die rasend schnell aufs Haus zukamen. Und noch bevor ich erkennen konnte, wessen Auto sich da näherte, hörte ich, wie der Kies unter den Reifen knirschte und prasselnd durch die Gegend flog.
Schnell lief ich um Miras Haus herum. Wer kam denn jetzt noch vorbei, mitten in der Nacht? Das kleine weiße Haus nebenan war hell erleuchtet. Isabel hockte mit Frank, dem Typen, den sie am vierten Juli kennen gelernt hatte, auf den Stufen. Das Ende ihrer Zigarette glühte auf – wenn Morgan nicht da war, rauchte sie mehr als sonst.
Das Auto bog rasant um die Kurve. Steine flogen vor ihm her wie Geschosse. Die Scheinwerfer streiften die Bäume, schließlich ergoss sich ihr Licht über die Veranda. Es war der Käfer. Isabel stand auf und hielt schützend die Hand über die Augen.
»Was für ein Irrer kommt denn da?«, fragte Frank.
Das Auto raste aufs Haus zu und geriet leicht ins Schleudern, bis es abrupt bremste und stehen blieb. Die Fahrertür öffnete sich, die Innenbeleuchtung ging an. Ich erkannte Morgan auf dem Fahrersitz.
»Was ist passiert?«, rief Isabel. Aber Morgan rannte einfach an ihr vorbei, die Stufen hoch. Da sie den Motor und die Scheinwerfer angelassen hatte, konnte ich sie deutlich sehen. Ihr Gesicht war rot gefleckt und sie hielt |258| sich die Hand vor den Mund, als müsse sie sich jeden Augenblick übergeben. Um den Hals trug sie etwas Gelbes, Fransiges.
Morgan stürzte durchs Wohnzimmer ins Bad. Isabel schmiss ihre Kippe auf den Boden und folgte ihr eilig.
Ich trat etwas näher, blieb allerdings auf unserer Seite der Hecke. Frank stellte den Motor und die Scheinwerfer ab. Unvermittelt herrschte Stille. Frank kehrte auf die Veranda zurück, ging aber nicht ins Haus.
»Morgan!« Durch das halb geöffnete Küchenfenster konnte ich sehen, wie Isabel gegen die Badezimmertür hämmerte. »Mach auf!«
Keine Antwort. Isabel hämmerte weiter.
»Morgan, jetzt mach schon auf. Ich krieg ja richtig Schiss.«
Isabel und Schiss. Das war ja was ganz Neues.
Jetzt betrat Frank, die Hände in den Hosentaschen, das Haus doch. In
Weitere Kostenlose Bücher