Credo - Das letzte Geheimnis
ihr Leute einen Anführer? Jemanden, mit dem ich reden könnte?«
Ein Mann in ausgebleichten Jeans und einem groben blauen Hemd trat vor. Er hatte ein mächtiges Gesicht, gebräunt vonlebenslanger Feldarbeit, einen dicken Bauch, kurze, stämmige Arme, die ein wenig vom Körper abstanden, und schwielige Hände. Ein alter Colt M1917-Revolver mit Elfenbein im Griff steckte unter seinem nietenbesetzten Gürtel, an dessen Schnalle ein poliertes Messing-Kruzifix prangte. »Ja. Wir haben einen Anführer. Er heißt Gott. Wer sind Sie?«
»Lieutenant Bia, Tribal Police.« Innerlich sträubte er sich gegen den unnötig aggressiven Tonfall des Mannes. Doch er würde ganz cool bleiben und nicht auf Konfrontation gehen. »Welcher Mensch ist denn hier zuständig?«
»Lieutenant Bia, ich habe nur
eine
Frage an Sie: Sind Sie ein Christ, der zur großen Schlacht hier ist?«
»Schlacht?«
»Armageddon.«
Zur Verdeutlichung legte der Mann die Hand an den mit Elfenbein eingelegten Griff seiner Waffe.
Bia schluckte. Die Menge schloss sich dichter um ihn. Er wünschte, er hätte erst Verstärkung gerufen. »Ich bin Christ, aber ich habe nichts von einem Armageddon gehört.«
Die Menge verstummte.
»Sind Sie im Wasser des Lebens wiedergeboren worden?«, fuhr der Mann fort.
Aus der Menge erhob sich scharfes Gemurmel. Bia atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, sich auf einen religiösen Streit mit diesen Leuten einzulassen. Er musste sie beruhigen. »Erzählen Sie mir doch mehr über dieses Armageddon.«
»Der Antichrist ist hier. Hier auf der Mesa. Die große Schlacht des Allmächtigen steht bevor. Und Sie sind entweder für uns oder gegen uns. Die Endzeit ist jetzt. Entscheiden Sie sich.«
Bia hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. »Ich nehme an, Ihnen ist bewusst, dass Sie sich hier in der Navajo Nation befinden und Landfriedensbruch auf Grund und Bodenbegehen, der an die amerikanische Regierung verpachtet ist.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
Die Menge zog den Kreis um Bia noch enger zusammen. Er konnte ihre Aufregung spüren, sie in ihrem Schweiß riechen.
»Sir«, sagte er mit leiser Stimme, »nehmen Sie die Hand von der Feuerwaffe.«
Die Hand des Mannes rührte sich nicht.
»Ich sagte, nehmen Sie die Hand
weg
von der
Waffe
.«
Die Finger des Mannes schlossen sich um den Griff. »Sie sind entweder für uns oder gegen uns. Also, wie steht es?«
Der Mann sprach zu der Menschenmenge, ließ Bia aber nicht aus den Augen. »Er ist keiner von uns. Er ist hier, um für die andere Seite zu kämpfen.«
»Was soll man auch erwarten?«, rief jemand, und die Menge echote: »Klar doch, was sonst?«
Bia begann sich langsam und ruhig zu seinem Fahrzeug zurückzuziehen.
Die Waffe wurde gehoben. Der Mann zielte auf Bia.
»Sir, ich bin nicht hier, um gegen irgendjemanden zu kämpfen«, sagte Bia. »Sie haben absolut keinen Grund, eine Waffe auf mich zu richten. Weg damit.«
Eine ältere Frau in Arbeitsstiefeln und einem Strohhut, das Gesicht gegerbt wie altes Leder, legte dem Mann eine Hand auf den Arm. »Jess, spar dir deine Kugeln auf. Dieser Mann ist nicht der Antichrist. Er ist nur ein Cop.«
Das Wort
Antichrist
lief wie eine Welle durch die Menge. Die Leute drängten sich noch näher an Bia heran.
»Sir, ich sagte,
weg mit der Waffe
.«
Unsicher ließ der Mann sie sinken.
»Okay, Wyatt Earp, gib mir den Revolver.« Die Frau streckte den Arm aus, nahm die Waffe aus der schlaffen Hand, leertedie Trommel und steckte Waffe und Munition in ihre Umhängetasche.
»Hier oben gibt es keinen Antichristen«, sagte Bia, der sich beherrschen musste, um sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. »Dies ist Land der Navajo Nation, und Sie alle begehen hier Landfriedensbruch. Also, falls Sie einen Anführer haben, möchte ich jetzt gern mit ihm sprechen.« Sobald er beim Streifenwagen war, würde er per Funk Unterstützung rufen. Am besten gleich die Nationalgarde.
Eine Stimme erscholl über die Köpfe der Menge hinweg. »Wir sind hier als die Armee Gottes – um für unseren Herrn zu
kämpfen
und zu
sterben!
«
Kämpfen. Kämpfen. Kämpfen.
Die Menge wiederholte das Wort wie ein Gebet.
Ein Mann mit einem langen, zotteligen Bart drängte sich zu Bia durch, einen großen Stein in der Faust, und brüllte: »Bist du wiedergeboren im Wasser des Lebens?«
Verärgert über den inquisitorischen Tonfall des Mannes, antwortete Bia: »Meine Religion geht Sie nichts an. Legen Sie diesen Stein weg, sonst
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