Creepers
Augen zusammenkneifen. Er sah konzentriert aus. »Ja. Das ist Carlisles Handschrift.«
»Lassen Sie mich mal sehen«, sagte Vinnie. Er betrachtete die Schrift, als sei sie ein Rätsel, das er lösen wollte. Dann gab er die Blätter an Rick und Cora weiter. »Das gibt einem das Gefühl, man wäre ihm ein bisschen näher gekommen«, sagte Rick. »Sie haben gesagt, Carlisle wäre eine ... wie haben Sie's genannt? - eine eindrucksvolle Erscheinung gewesen. Wegen der Steroide und des Trainings. Aber wie war sein Gesicht? Seine ganze Art? War er attraktiv oder unscheinbar? Reizend oder aufdringlich?«
»In seinen besten Jahren hat man ihn mit einem Filmstar verglichen. Seine Augen hatten die Farbe von Aquamarinen. Funkelnd. Charismatisch. Die Leute waren wie hypnotisiert von ihm.«
Rick gab Baienger den Bericht über die vermisste Frau zurück und zeigte auf eine vergilbte Zeitungsseite. »Ich hab einen von den Morden gefunden. Der dreizehnjährige Junge, der seinen Vater mit einem Baseballschläger erschlagen hat, als der Mann geschlafen hat. Er hat zweiundzwanzig Mal zugeschlagen, hat ihm richtiggehend den Schädel zertrümmert. 1960 ist das passiert. Der Name des Jungen war Ronald Whitaker. Es hat sich herausgestellt, dass die Mutter des Jungen tot war und der Vater ihn jahrelang sexuell missbraucht hatte. Seine Lehrer und die Mitschüler haben ihn als still und verschlossen beschrieben. Düster.«
»Das ist die übliche Beschreibung für Opfer von Sexualverbrechen«, sagte Baienger. »Sie sind in einem Schockzustand. Beschämt. Verängstigt. Sie wissen nicht, wem sie trauen können, also wagen sie es nicht, mit jemandem zu reden, aus Angst davor, es könnte ihnen versehentlich herausrutschen, was ihnen angetan wird. Der Täter hat meistens damit gedroht, er würde ihnen etwas Fürchterliches antun - ein Haustier töten, den Penis oder eine Brustwarze abschneiden -, wenn das Opfer jemandem etwas verrät. Zugleich versucht der Täter dem Opfer einzureden, das, was da passiert, wäre das Normalste auf der Welt. Irgendwann haben manche Opfer das Gefühl, auf irgendeine Art wäre jeder Mensch ein Täter, es ginge immer nur darum, andere zu manipulieren, und sie könnten sich auf niemanden verlassen.« Rick zeigte auf das Dokument. »In diesem Fall hat der Vater Ronald am Wochenende des vierten Juli mit nach Asbury Park genommen. Ein so genannter Familienausflug. Ein Kinderpsychologe hat mehrere Wochen lang versucht, Ronald dazu zu bringen, dass er erzählt, was als Nächstes passiert ist. Und irgendwann kam alles in einem einzigen Wortschwall heraus - wie Ronalds Vater sich von einem anderen Mann für eine Stunde allein mit dem Jungen hatte bezahlen lassen. Der Fremde hat Ronald als Bestechungsgeschenke einen Ball, einen Schläger und einen billigen Baseballhandschuh gegeben. Nachdem der Mann gegangen war, ist der Vater betrunken ins Zimmer zurückgekommen und eingeschlafen. Ronald hat daraufhin den Baseballschläger zum Einsatz gebracht.«
»Dreizehn Jahre.« Cora sah aus, als sei ihr übel. »Was passiert mit Jungen wie ihm?«
»Seiner Jugend wegen hätte man seinen Fall nicht vor einem normalen Gericht verhandeln können«, sagte Baienger. »Wäre er volljährig gewesen, hätte das Urteil wahrscheinlich auf unschuldig aufgrund vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit gelautet. Bei Minderjährigen läuft es meist darauf hinaus, dass der Richter sie in ein Heim einweisen lässt, wo sie psychiatrisch betreut werden. Mit einundzwanzig ist er wahrscheinlich entlassen worden. Alle juristischen und ärztlichen Dokumente werden unter Verschluss gehalten, damit niemand sich über die Vergangenheit des Betreffenden informieren und sie gegen ihn einsetzen kann. Und dann blieb es wahrscheinlich ihm überlassen, ein normales Leben zu führen.«
»Aber im Grunde war dieses Leben zerstört«, sagte Cora.
»Ich nehme an, Hoffnung gibt es immer«, antwortete Baienger. »Immer ein Morgen.«
»Du weißt ja eine ganze Menge über dieses Zeug.« Rick musterte ihn aufmerksam.
Zweifelt er jetzt wieder an mir?, fragte sich Baienger. »Ich habe als Reporter über ein paar solche Fälle berichtet.«
»Das Hotel hat eine Menge Kummer aufgesogen«, sagte Vinnie. »Seht euch das hier an.« Das alte Papier raschelte in seinen Händen. »Die Frau, der der Koffer mit dem toten Affen drin gehört hat. Wie hat der Name auf dem Schild doch gelautet?«
»Edna Bauman«, sagte Cora.
»Yeah, das ist der Name. Edna Bauman. Sie hat sich hier
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