Creepers
umgebracht.«
»Was?«
»27. August 1966. Sie hat sich ein heißes Bad eingelassen und sich die Pulsadern aufgeschnitten.«
»Cora, du hattest da einen unfehlbaren Instinkt«, sagte der Professor. »Weißt du noch, wie du Rick gebeten hast, in der Badewanne nachzusehen? Du hattest Angst, irgendwas könnte dort sein.«
Cora schauderte. »Vor fast vierzig Jahren.«
»Am siebenundzwanzigsten August«, sagte Rick. »Was war noch das Datum auf dem Nachruf für ihren Exmann?«
»Zweiundzwanzigster August«, antwortete Baienger. »Fünf Tage. Sobald die Beerdigung vorbei war, ist sie hierher zurückgekommen, an den Ort, wo sie und ihr Mann im Sommer davor den letzten gemeinsamen Urlaub verbracht hatten.« Vinnie dachte einen Moment lang nach. »Vielleicht war der Sommer ihre letzte schöne Erinnerung. Damals wurde das Bild von den beiden und dem Affen aufgenommen. Ein Jahr später war ihr Leben ein Trümmerhaufen. Sie hat sich mit den Erinnerungen an bessere Tage umgeben und sich umgebracht.« »Ja«, sagte Cora, »das Hotel hat eine Menge Kummer aufgesogen.«
»Aber die Polizei oder irgendwer hätte doch sicher den Koffer mit dem toten Affen darin weggeräumt?«, fragte Rick. »Warum haben sie den hier gelassen?«
»Vielleicht haben sie das gar nicht«, antwortete Baienger.
»Das verstehe ich nicht.«
»Vielleicht hat Carlisle ihn genommen, bevor die Polizei eintraf, und ihn später wieder hingelegt.«
Die Gruppe wurde still. Baienger glaubte, den Wind draußen hören zu können; dann wurde ihm klar, dass das Geräusch aus einem der Stockwerke über ihnen kommen musste.
»Das Zimmer, in dem der Burberry-Mantel hängt«, sagte Conklin. »Als wir da drin waren, ist Vinnie auf den Gedanken gekommen, in den Taschen nachzusehen.« »Das hier hab ich gefunden.« Vinnie gab Rick und Cora einen Brief.
Cora las Briefkopf und Datum vor. »Mayo-Klinik, 14. Februar 1967. >Sehr geehrter Mr. Tobin. Anhand der vorgenommenen Röntgenaufnahmen hat sich ergeben, dass der primäre Tumor sich vom oberen Lobus der rechten Lunge aus weiter ausgebreitet hat. Ein sekundärer Tumor hat sich in der Luftröhre gebildet. Wir empfehlen dringend, schnellstmöglich mit einer Strahlentherapie zu beginnen.«
»Tobin.« Rick blätterte in den Papieren, die Baienger ihm gegeben hatte, und fand einen weiteren vergilbten Zeitungsausschnitt.
»Edward Tobin. Börsenmakler aus Philadelphia. Zweiundvierzig Jahre alt. Selbstmord: 19. Februar 1967.« »Unmittelbar nachdem er den Brief erhalten hat.« »Februar?«, fragte Vinnie. »Selbst wenn er sich umbringen wollte, im Winter reist man eigentlich nicht an die Küste von Jersey ...«
»Doch, wenn man vorhat, ins Wasser zu gehen und zu erfrieren, bevor man ertrinken kann.« Rick zeigte auf den Zeitungsausschnitt. »Der Mann hatte nichts als Hemd und Hose an, und seine Leiche war vereist, als die Flut sie angespült hat.«
Wieder fiel Baienger das Kreischen des Windes über ihnen auf. »Merkwürdig, zwei Zimmer nebeneinander, und beide waren von Selbstmördern bewohnt.« »Eigentlich nicht«, sagte Conklin. »Im Lauf der langen Geschichte des Paragon haben viele Tausende von Gästen hier übernachtet. Alle paar Tage ein neuer Gast in jedem Zimmer. Jahrzehnte über Jahrzehnte. Irgendwann muss jedes einzelne Zimmer eine tragische Geschichte erlebt haben. Herzinfarkte, Fehlgeburten, Schlaganfälle. Tödliche Stürze in der Badewanne. Uberdosen. Alkoholisierte Amokläufe. Prügelnde Ehemänner. Vergewaltigungen. Sexuelle Ubergriffe. Ehebruch und geschäftlicher Verrat. Finanzielle Katastrophen. Selbstmorde. Morde.«
»Richtig amüsant«, sagte Rick.
»Eine Miniaturversion der Welt«, sagte Baienger. »Deshalb war Carlisle so fasziniert von seinen Gästen.« »Ein calvinistischer Gott, der die Verdammten beobachtet - er könnte eingreifen, aber er beschließt, es nicht zu tun.« Cora rieb sich die Oberarme.
»Wenn wir heute Nacht fertig werden wollen, sollten wir besser weitergehen.« Rick sammelte die Seiten, die er gelesen hatte, wieder ein, heftete alles in dem Ordner ab und schob ihn in die Vordertasche seines Rucksacks. »Wir müssen den wieder in seinen Aktenschrank stellen, bevor wir gehen«, sagte der Professor.
»Ich wüsste nicht, wozu das gut sein sollte«, sagte Vinnie. »Das ganze Hotel ist demnächst nur noch ein Schutthaufen.«
»Aber das ist eine der Regeln«, erinnerte Rick. »Wenn wir sie einmal brechen, werden wir irgendwann auch die anderen brechen. Dann sind wir nur noch
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