Crescendo
sie war, würde sie vielleicht sterben. Eine Idee schoss ihr durch den Kopf, und sie nahm ein Kopfkissen vom Bett. Jetzt musste sie nur losrennen. Sie beschloss, bis drei zu zählen, wie sie das als Kind getan hatte. Sie schmeckte Salz auf den Lippen, als sie zu zählen begann.
Smith hielt die Luft an und zählte bis zwanzig. Das letzte Knarren des alten Holzes war so laut gewesen, dass er fast sicher war, sie geweckt zu haben. Als er zu Ende gezählt hatte, lauschte er, aber bis auf ein kaum hörbares Klirren von Glas war das Haus still.
Er war nicht so unvorsichtig, sich seiner Phantasievorstellung hinzugeben – sie nackt, schlafend und schutzlos im Bett vorzufinden –, aber noch nie hatte er sich so stark, so unbesiegbar gefühlt. Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als er behutsam auf die nächste Stufe trat. Kein Laut. Er machte wieder einen Schritt, und ein ganz leises Knarren ertönte. Zwei Stufen weiter war ein Absatz, dann war es nur noch ein kurzes Stück bis oben. Er war so nah dran. Das Taschenmesser in der linken Tasche drückte wie eine Erektion gegen seinen Oberschenkel. Ein Lichtschimmer spiegelte sich in der Klinge des Fahrtenmessers, das er in der Hand hielt.
Plötzlich war über ihm ein Luftstoß, und etwas Weißes huschte vorbei. Eine Gestalt, blass im Mondlicht, rannte über den Flur. Smith stieß einen wütenden Schrei aus und sprang vor, um ihren Fußknöchel zu packen, der fast in Reichweite war. Mit dem linken Fuß trat er schwer auf die Eckstufe und durchbrach krachend das morsche Holz. Er fiel nach vorn, und das Bein baumelte unter ihm in der Luft. Brüllend vor Frust zog er den Fuß hoch, zuckte vor Schmerz zusammen, als sich Splitter durch die Hose bohrten. Dann verklemmte sich sein Fuß in dem Loch. Er drehte ihn, zerkratzte sich die nackte Haut an der Wade, aber er saß fest. Mit dem Fahrtenmesser hackte er auf das Holz um seinen Knöchel herum ein, bis er den Fuß plötzlich mit einem Ruck frei bekam und fast noch die Treppe hinuntergefallen wäre.
Er sprang die letzten Stufen hinauf und rannte hinter der Frau her, die in der Dunkelheit verschwunden war. Der Flur verlief nicht auf einer Höhe, und er stürzte der Länge nach ein paar Stufen hinunter, schlug mit dem Kopf gegen die Fußleiste. Danach wurde er vorsichtiger und benutzte seine Taschenlampe. Der Weg vor ihm war leer. Zu seiner Linken war ein Badezimmer, das nach ihrer Seife roch. Rechter Hand war ein altes Schlafzimmer mit Schimmel in den Ecken. Hinter einer der Türen erklang ein Geräusch. Er riss sie auf und sah vor sich eine Wendeltreppe nach unten. Er rannte hinunter und sah plötzlich am unteren Ende etwas Weißes schimmern. Mit einem Schrei stürzte er darauf zu – es war ein Kissen, dass flach gedrückt vor einer halb geöffneten Tür lag. Er zwängte sich hindurch und war wieder in der Küche, allein.
Fluchend suchte er die Zimmer im Erdgeschoss ab. Ihr Auto stand noch draußen, den Motor hatte er außer Gefecht gesetzt. Bevor er ins Haus eingedrungen war, hatte er ihr diese Fluchtmöglichkeit vereitelt. Falls sie keinen Sprung aus dem ersten Stock riskiert hatte, war sie noch irgendwo im Haus. Er beschloss, es von oben bis unten zu durchsuchen.
Nightingale hockte hinter der Gipswand des kleinen Schlafzimmers und hielt nach dem Licht der Taschenlampe Ausschau. Als sie aus dem Fenster geblickt und die Kabel gesehen hatte, die aus der Motorhaube ihres Autos hingen, waren ihr die Tränen gekommen. Wer auch immer im Haus war, er war ganz bestimmt kein hergelaufener Einbrecher. Es musste Smith sein, obwohl sie ihn nicht angesehen hatte, als sie an der Treppe an ihm vorbeigerannt war. Während er noch verzweifelt versuchte, seinen Fuß freizubekommen, hatte sie rasch das Kissen hinunter zur Küche geworfen, damit er glaubte, sie sei über die Wendeltreppe geflüchtet. Jetzt wartete sie ab, ob ihr Trick geklappt hatte.
Sie kauerte in ihrem Versteck aus Kindertagen, ein Raum zwischen Wand und Dachschräge, der sich um das ganze Haus herum erstreckte. Sie musste vorsichtig auf den Querbalken balancieren, um nicht durch die dünne Decke zu stürzen. In dem Zimmer auf der anderen Seite der Wand rührte sich nichts. An den Rändern der Gipsplatte, die das Loch verschloss, war ein dünner Spalt, durch den sie sehen würde, wenn das Taschenlampenlicht zurückkehrte.
Die Minuten verstrichen, und sie überlegte, wie lange sie in ihrem Versteck bleiben musste, um sicher sein zu können, dass er weg war. Sie fing an
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