Crescendo
der Pension keinen Argwohn schöpfte.
Er öffnete die Tür und sah, dass der kleine Frühstücksraum gerammelt voll war. Nur noch ein Tisch genau in der Mitte war frei. Er humpelte dorthin und stützte sich dabei schwerer auf seinen Stock, als nötig gewesen wäre. Eine dicke Frau 546
kam herein und brachte ein riesiges Tablett, auf dem etliche Teller mit einem appetitlich duftenden englischen Frühstück standen.
»Mr Wilmslow. Wie schön, dass Sie hier sein können. Ihre Gattin meinte, Sie müssten vielleicht alle Ihre Mahlzeiten auf dem Zimmer einnehmen. Was darf ich Ihnen bringen?«
Er bestellte ein großes Frühstück mit Toast, Tee und Orangensaft.
»Donnerwetter! Für Ihr Befinden haben Sie aber einen ge-segneten Appetit.«
»Mein Magen ist ja zum Glück unversehrt geblieben.«
Die Erwiderung hatte heiter klingen sollen, scherzhaft, aber es klappte nicht. Ihr Lächeln erstarb, und sie trat den Rückzug an.
Sein Frühstück kam, und er aß langsam, schaute unentwegt von seinem Teller zum Gartentor, das er durch das Er-kerfenster sehen konnte. Als er den Tee getrunken und mit dem letzten Stück Toast den Teller sauber gewischt hatte, war sie noch immer nicht wieder da. Eine Uhr in der Diele schlug zehn, als er zurück aufs Zimmer ging, wo er sich gleich daran machte, seine wenigen Habseligkeiten zu packen. Er war hier nicht mehr sicher, falls sie ihn im Stich gelassen hatte. Er fluchte, weil er sie nicht schon am Tag zuvor getötet hatte. Dann kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. Was, wenn die Polizei sie gefasst hatte oder die Pension umstellt war?
Das Zimmer ging auf eine Seitenstraße. Der Postbote fuhr vorbei, dann ein paar Autos. Passanten gingen ganz normal auf und ab. Er hatte nicht den Eindruck, in der Falle zu sitzen. Er schaltete den Fernseher ein. Ein Sprecher der Polizei wurde gerade interviewt. Ein untersetzter Schotte mit rotblondem Haar führte das Wort, aber in dem dunkelhaarigen Mann hinter ihm erkannte er den Polizisten, der in seinem alten Haus 547
gewesen war. Er blickte ernst, hielt die finsteren Augen auf die Kamera gerichtet, als fordere er Smith heraus, sich zu zeigen.
Gefährlicher als der geschwätzige Schotte, aber seine Miene verriet ihn. Sie wussten nicht, wo er war, und das machte sie stocksauer. Er beschloss, Wendy noch eine halbe Stunde zu geben, dann würde er ohne sie verschwinden.
Wendy stellte den Wagen wieder möglichst nahe an dem ursprünglichen Parkplatz ab. Sie hätte es fast geschafft, aber als sie auf die Hauptstraße bog, hatte sie der Mut verlassen.
Wenn sie weglief, würde er sie finden, egal, wo sie sich versteckte, und wenn sie zur Polizei ging … sie verbot sich den Gedanken. Unmöglich. Sie war schon viel zu lange fügsam und willig. Selbst wenn sie sich hin und wieder rebellischen Tagträumen hingab, sie blieben doch nur das, was sie waren, nämlich reine Phantasievorstellungen.
Als sie losgefahren war, hatte sie in sich nach einem Fun-dament gesucht, auf dem sie ihre Rebellion aufbauen könnte.
Stattdessen war sie nur auf Treibsand gestoßen, der sich zu der Gestalt formte, die Dave erwartete. Und so hatte sie den Wagen gewendet und war zurück nach Bideford gefahren.
Ihr Gesicht war tränenüberströmt gewesen, und ihr linker Fuß hatte so heftig gezittert, dass sie kaum die Kupplung durchtreten konnte. Nachdem sie das Auto eingeparkt hatte, blieb sie lange noch sitzen, um ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen. Sie war starr vor Angst. Er würde wütend sein, und nur die dünnen Wände der Pension würden ihn daran hindern, sie bis zur Bewusstlosigkeit zu prügeln, wie er das schon einmal getan hatte. Schließlich zwang sie sich auszusteigen. Die Tüte mit den Einkäufen trug sie vor sich wie einen Schutzschild.
Er starrte zum Fenster hinaus, als er die Zimmertür aufgehen hörte.
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»Mach die Tür zu.« Seine Stimme war ausdruckslos. »Wo zum Teufel warst du so lange?«
»Ich … ich hab keine passende Karte gefunden. Ich musste überall suchen.«
Sie log.
»Komm her.« Ein kaum hörbares Flüstern, doch sie hörte den Hass darin und schüttelte abwehrend den Kopf. »Komm her.« Er stellte den Fernseher lauter, und sie begann, vor Angst haltlos zu zittern.
»Nein. Dave, bitte. Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Komm.« Er kommandierte sie wie einen Hund, und hinter der Selbstbeherrschung war seine Wut fast greifbar.
Sie kam auf ihn zu, so zögerlich, dass er vor Zorn nach Luft schnappen musste. Ihre Angst war
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