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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
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war, ließ er nicht von seiner Beute ab.
    Sie sah Leute über den Platz rennen, aber sie waren zu weit weg. Der Junge hechtete wieder nach vorn, zielte auf Richards Hals, die Augen rot und schwarz vor Hass. Die Klinge kratzte die Haut an, und Blutstropfen kamen zum Vorschein. Nightingale versuchte, Richard hinter sich zu bugsieren, aus dem Gesichtsfeld des Jungen heraus, um so vielleicht den Aggressi-onsbann zu brechen, der sie miteinander verband. Der Junge stieß einen Zornesschrei aus und sprang, riss sie beide zu Boden.
    »Jetzt seid ihr dran!«, schrie er und stach auf sie ein.
    Nightingale spürte, wie die Klinge über ihren geschützten Rücken glitt und ihr den Arm aufschnitt, bevor sie auf Richard zuglitt, knapp sein Auge verfehlte und ihm ein schmales Stück oben vom Ohr abrasierte. Er hob abwehrend die blutverschmierten Hände, als das Messer wieder zustach.
    »Hilf mir. Um Himmels willen!«
    Nightingale hörte die Angst in seiner Stimme. Mit übermenschlicher Anstrengung wuchtete sie ihn hoch und rollte sich mit ihm weg. Ihr Angreifer war jetzt auf allen vieren und bleckte fauchend die Zähne. Nightingale stemmte sich hoch und zog Richard weiter weg, als die ersten der zu Hilfe eilenden Kollegen gegen den Jungen krachten, ihn zu Boden schleuderten und ihm das Messer entrissen. Ein ziemlich schwerer und fuchsteufelswilder Polizist drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten, riss ihm die Arme auf den Rücken und legte die Handschellen so eng an, dass die Haut weiß wurde.
    Während zwei Beamte den spuckenden, fluchenden Jun-134

    gen festhielten, kümmerten die übrigen sich um Richard und Nightingale und redeten beruhigend auf sie ein. In der Ferne hörte Nightingale die Sirene eines Rettungswagens und drückte noch fester auf die blutende Wunde ihres Partners.

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    Kapitel neun
    »Kommen Sie rein, Louise.« Superintendent Quinlan blickte auf und lächelte sie an. »Nehmen Sie Platz.
    Wie geht es Ihnen?«
    »Gut, danke.« Sie setzte sich gehorsam, das Gesicht ausdruckslos.
    »Ah, Andrew. Schön.«
    Nightingale fuhr zusammen, hielt aber das Gesicht nach vorn gerichtet. Sie war über eine Woche krankgeschrieben gewesen, und eine diskrete interne Untersuchung hatte sie inzwischen vollständig entlastet. Die Schuld war eindeutig dort abgeladen worden, wo sie hingehörte, nämlich auf den
    »grippegeplagten Schultern von Inspector Blite«. Er hatte seine krasse Fehleinschätzung der Erkrankung zugeschrieben, und der Assistant Chief Constable war geneigt, das zu akzeptieren. Quinlan hatte sich in diplomatischer Zurückhaltung geübt, doch in den Umkleideräumen und an Kantinenti-schen, wo niemand ein Blatt vor den Mund nehmen musste, herrschte Einigkeit, dass Blites kleinkarierte Erbsenzählerei nun endlich ans Licht gekommen war.
    D.C. Richard Rike würde mindestens einen Monat ar-beitsunfähig sein, vielleicht noch länger, falls die durchtrennte Sehne an seinem Handgelenk ein zweites Mal operiert werden musste. Nightingale hatte die ihr empfohlene psychologische Beratung abgelehnt. Nach einem Pflichtbesuch für das Gutachten hatte sie sich mit Grippemedikamenten, Aspirin 136

    und Mrs Coopers Suppe zu Hause eingeschlossen. Die Psychologin, die sie besucht hatte, war beunruhigt, und ihr Bericht war einer von vielen, den Superintendent Quinlan studiert hatte, bevor seine beiden Mitarbeiter eintrafen.
    Für eine so junge Beamtin war Louise Nightingales Personalakte schon erstaunlich dick. Sie enthielt eine Belobigung wegen Tapferkeit, Hinweise auf zwei Krankenhausaufenthalte aufgrund von Verletzungen, die sie sich im Dienst zugezogen hatte, und ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft, in dem ihre Aussage im Griffiths-Prozess gelobt wurde.
    Er senkte den Blick auf die Unterlagen, tief in Gedanken und ohne das Schweigen, das jetzt in seinem Büro herrschte, unangenehm oder überraschend zu finden. Weder Fenwick noch Nightingale mochten Smalltalk. Er hatte immer gedacht, beide hätten vieles gemeinsam, doch inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher.
    Andrew Fenwick wirkte irgendwie verjüngt. Er war sonnengebräunt und machte einen fitten und energiegeladenen Eindruck. Die schreckliche Anspannung, die sich in den Jahren während der Krankheit seiner Frau fest um seinen Mund und seine Kinnpartie gelegt hatte, schien endlich zu weichen.
    Im Gegensatz dazu war Nightingale kreideweiß und hager.
    Ihre Handgelenke sahen aus wie dünne Äste, die unter einem festen Griff zerbrechen würden. Die violetten

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