Crime
Papageifische, Quallen. Ich hatte sogar mal einen Rochen im Korb– einen Ray.
Tianna zieht die Verbindung Rochen– Ray, zeigt auf Lennox und lacht prustend. Der lässt sich ebenfalls ein Glucksen entlocken. Chet wirkt leicht verwirrt, vermutet dann aber einen Insiderscherz und fängt an, den Fang zu verstauen und die kleineren Exemplare zurück ins Meer zu werfen. Als er damit fertig ist, geht Tianna wieder mit ihrem Magazin unter Deck, während Chet den Motor anwirft und das Boot durchs Wasser pflügen lässt. Bald kommt etwas in Sicht, das eine Insel zu sein scheint.
Als sie näher kommen, kann Lennox vage die Überreste eines alten Dorfs erkennen, das rechter Hand der Bucht liegt, neben einer weiteren neuen Marina und einem am Reißbrett entstandenen Örtchen. Chet steuert das Boot weg von den Lichtern in eine nicht markierte Hafeneinfahrt mitnur wenigen Pfosten zum Festmachen. Sie weitet sich zu einem verborgenen, vorsintflutlichen Hafen, es ist, als segele man in eine versunkene Welt. Während sie an alten Holzhütten und Anlegestellen vorbeifahren, kommen eine verfallene Bootswerft mit ein paar maroden Fischkuttern und ein Bootshaus aus Aluminium in Sicht, dahinter auf höherem Gelände ein paar Hütten. Zur Linken ragen die Kästen mit den Eigentumswohnungen der neuen Siedlung Unheil verkündend über einen kleinen Hügel, ein Riese, der bereit ist, alles in seiner Umgebung zu verschlingen.
Tianna ist wieder von unten hochgekommen, eine Baseball-Karte in der Hand. Sie zieht hoch konzentriert die Brauen zusammen. Ihre Miene macht Lennox Sorge. Er will schon etwas sagen, doch da braucht Chet Hilfe beim Vertäuen des Boots. Während er sein Ende festzurrt, sieht er, wie sie ihre anderen Sammelkarten aus dem Schäfchenrucksack holt und die einzelne in den Packen steckt. Die Ibisse hocken in der Nähe des Anlegeplatzes. Aus einem Baum über ihnen tschilpt ein Fischadler wie ein Wellensittich.
In nachdenklichem Schweigen steigt Tianna aus dem Boot auf den hölzernen Landungssteg. Ihre Hand ist zur Faust geballt, und sie beißt sich auf die Knöchel. In Lennox gerät irgendwas ins Schwimmen. Vielleicht bildet er sich nur etwas ein. Er sieht sich um, die Luft ist merklich wärmer als auf dem Meer.
Die verstaubte Kolonie verbreitet eine Stimmung, als wären ihre Tage gezählt. Das Bar-Restaurant, ein grau gestrichenes Holzgebäude mit Blechdach, der Mittelpunkt des siechen Nests, steht trotzig auf Pfosten in dem Halbkreis aus Watt, der den Hafen bildet. Mit seinem schicken Nachbarn krümmt sich die alte Bucht hin zum grauen Dunst der Ten Thousand Islands, die die Mangrovenküste Floridas gegen den Golf von Mexiko abschirmen.
Das Restaurant ist absolut Old-School-Florida, ein Laden für Alteingesessene, von denen Lennox schon viel gehört hat, die aber heutzutage ohne Führer fast genauso schwer zu finden sind wie die guten Fischgründe. Als sie die steilen, hölzernen Stufen hinaufsteigen und Tianna, ganz in Gedanken, langsam hinterherzockelt, sagt Chet, dass sie trotz der Inselillusion eigentlich an einer Halbinsel festgemacht hätten.– Die einzigen vernünftigen Straßen führen nur zu den geplanten Siedlungen und den Marinas mit den schicken Booten. Einige dieser alten Örtchen lassen sich außer von der Seeseite nur über Schotterpisten erreichen. Wenn du auf dem Highway fährst, bist du an den kleinen Ausfahrten vorbei, ehe du sie überhaupt siehst.
Im Restaurant begrüßt sie eine große Weiße und führt sie an einen Tisch. Lennox nimmt die ihm angebotene kreischend bunte, laminierte Speisekarte und liest den Willkommensgruß:
FISHIN ’ FOR FRIENDS
SEAFOOD BAR AND RESTAURANT
»Nur auf dem Meeresboden gibt es frischeren Fisch«
Die Gerichte auf der Karte tanzen vor ihren Augen.– Was hättest du denn gern, Tianna?, fragt Lennox und überlegt, ob er noch mehr Catfish vertragen würde. Dann wird er auf den Red Snapper aufmerksam.
– Ich glaub, ich nehm Hühnchen, sagt sie ohne große Begeisterung.
Chet starrt Tianna finster an und meint mit einem Kopfschütteln zu Lennox:– An einem Ort wie diesem hier ist das ein Sakrileg, junge Dame. Großer Gott, da holt man das Mädchen raus aus Alabama …
Lennox würde ja in Tiannas Namen protestieren, aber Chet witzelt nur, gibt ein bisschen den versnobten Erwachsenen. Chet bemerkt seinen prüfenden Blick und ist höflich genug, nicht beleidigt zu reagieren, und erspart Lennox die Peinlichkeit.– Und, in welcher Branche waren sie früher so?, fragt
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