Crime
Kälte taub wurden. Das Gespräch mit den Opfern von Sexualverbrechen war dir das Verhassteste an deinem Job. Aber normalerweise waren sie weiblichen Geschlechts, daher ersparten die Verhaltensregeln und Vorschriften der Abteilung dir oft diese Tortur. Dieses Kind würde dir allerdings nie erzählen können, wer ihm das angetan hatte. Du hieltest dir beide Hände vors Gesicht, um heißen Atem hineinzuhauchen. Ein paar Meter weiter lag Britneys Schultasche mitsamt allen Büchern. Nirgends waren Kleidungsstücke von ihr zu sehen, was den Schluss zuließ, dass sie mit Absicht und nicht aus reiner Nachlässigkeit zurückgelassen worden war, doch das passte wiederum nicht zu den anderen Merkmalen des Verbrechens.
Ein Helikopterteam barg die Leiche und brachte sie in die Pathologie. Britney war nicht länger als vierzehn Stunden tot, verschwunden war sie jedoch seit mehr als drei Tagen. Der Mörder hatte sie erwürgt, bevor er sie, wohl in der Hoffnung, sie würde mit der Ebbe hinaus ins offene Meer gezogen, von der Klippe geworfen hatte. Taucher suchten die Küste ab, vergeblich. Drei Stunden später, am Sonntag um die Mittagszeit, wurde gegen Ronnie Hamil offiziell Anklage wegen Mordes an seiner Enkelin erhoben.
Dir genügte das nicht. Der Großvater hatte eine mörderische Fahne, er hatte offenkundig tagelang durchgesoffen. Hätte er das alles auf die Reihe gekriegt? Abgesehen von dem widersinnigen Ablegen der Schulbücher, wirkte das Verbrechen wie die Tat eines akribischen Planers. Auf Britneys Körper wurden Spuren eines Gleitmittels gefunden, jedoch kein Sperma. Der Mörder hatte ein Kondom benutzt. Es gab weder Blut noch irgendetwas anderes, um fremde DNA nachzuweisen, lediglich Spuren von Isolierband an Hand- und Fußgelenken. Nichts am Körper des Mädchens stellte eine Verbindung zwischen Britney und Ronnie her. Auf den Schulbüchern wurden einige Fingerabdrücke von ihm gefunden, daneben aber noch zahlreiche andere. Gut vorstellbar, dass die Kleine sie ihm gezeigt hatte, als er in der Vorwoche zu Besuch gewesen war, wie er behauptete. Stattdessen erinnerte alles schwer an die Ellis-Fälle.
Also riefst du jemanden an, den du im letzten Jahr bei einer Fortbildung zum Erstellen psychologischer Profile von Sexualstraftätern kennengelernt hattest. Du hattest ihn als schwindsüchtig aussehenden Mann in Erinnerung, mit dem krummen Rücken eines Menschen, der schwer zu tragen hat, dessen unstete Augen jedoch darauf hindeuteten, dass er den unsichtbaren Notausgang seiner bevorstehenden Pensionierung schon heimlich anvisierte. WillThornley war der leitende Untersuchungsbeamte im Fall Stacey Earnshaw in Manchester. Anders als George Marsden war Will ein ausgesprochener Apparatschik. Er hatte dienstfrei und war gar nicht begeistert, bei der Gartenarbeit gestört zu werden. Er war so unkooperativ, dass du am Ende des Telefonats fest davon überzeugt warst, dass Ellis nichts, aber auch gar nichts mit Staceys Ermordung zu tun hatte.
Die Feierlaune im Präsidium ließ dich kalt. Gott sei Dank fehlte Gillman in der kleinen Loungebar im Fettes, als Notman dir zünftig auf die Schultern klopfte.– Na, das Dreckschwein haben wir am Sack, Ray.
– Aye, stimmtest du zu,– ein Dreckschwein ist er zweifelsohne, zum ersten Mal froh darüber, dass Trudi dich heute Abend zum Dinner im Familienkreis verdonnert hatte.
Also überließest du das Feiern dem Team, schlucktest die Kröte und machtest dich zu Bob Toals Büro auf. Dein Boss bot dir eine kubanische Zigarre an, die du ablehntest.– Ray, diese Miene gefällt mir gar nicht, warnte dich Toal.– Im Moment möchte ich nur fröhliche Gesichter sehen.
– Bob, ich weiß, es ist nicht das, was Sie von mir hören wollen, aber ich bin verpflichtet, Ihnen von den Fällen in Hertfordshire und Manchester zu berichten, da sie Teil meiner Ermittlungen waren.
– Oh bitte, Ray, spucken Sie uns ruhig in die Suppe.
Als sich eure Blicke trafen, stand für einen Moment die Zeit still. Er wollte, dass du stumm bliebst. Du selbst auch. Doch das konntest du nicht:– Ich mach mir Sorgen wegen dieser Ellis-Geschichte. Die ist nicht wasserdicht. Damit gehen die baden.
– Wollen Sie etwa die Ergebnisse von zwei Ermittlungsteams infrage stellen?
– Wenn die ihren Job richtig gemacht haben, haben sie ja nichts zu befürchten, sagtest du, und kaum war es raus, hörte es sich für deine eigenen Ohren schon lächerlich an.
Toal war nicht in der Laune, dich mit Samthandschuhen anzufassen.–
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