Crime
ihrem vernichtenden Blick zu schließen, eher nicht.
– Dann lass uns erst mal frühstücken gehen und rausfinden, wie weit das ist. Ich hab Hunger. Wie steht’s mit dir?
– Ja, schon.
Er betrachtet ihre nackten Arme. Ihr Tanktop mit der anzüglichen Proklamation.– Zieh dir lieber eine Jacke über. Ich glaube, es ist kühler, als es aussieht, sagt er, geht ins Wohnzimmer und holt die Perfect Bride .
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9
Polizeiarbeit
Die Sonne strahlt durch ein feines Wolkengespinst, doch ein kühler, hartnäckiger Wind stiehlt die Wärme aus der Luft. Lennox hat recht, es ist weniger warm als angekündigt. Er ist beinahe neidisch auf Tianna, die einen Rucksack, der als plattes Schaf designt ist, über einer hellblauen Jeansjacke trägt: Er hätte auch gerne irgendwas mit Ärmeln. Die Red-Sox-Kappe und die Sonnenbrille hat er verloren, wahrscheinlich in einer der Bars, oder im Bus liegen lassen. Seine heile Hand umklammert das Hochzeitsmagazin. Er hat keine Ahnung, wohin er geht, oder warum. Beim Anblick eines weißen Vans, der vor dem Haus hält, sträuben sich ihm die Nackenhaare. Ein Mann im Overall mit einem Metallkanister auf dem Rücken steigt aus und wird von Tianna beiläufig gegrüßt.
– Wer ist das?, fragt Lennox.
– Der Kammerjäger, erklärt sie. Seine belämmerte Miene veranlasst sie zu ergänzen:– Die sprühen in den Wohnungen gegen Kakerlaken.
Sie marschieren über breite, aufgeplatzte Betonbürgersteige durch ein Viertel, das von den Straßen in Quadrate aufgeteilt wird, vorbei an Häusern und Vorgärten, und kommen dann an eine Hauptstraße mit Geschäften. Es gibt nichts von Interesse: einen Immobilienmakler, einen Wachdienst und einen Friseur. Aber es ist dennoch kein übles Viertel. Er hat schon deutlich schlimmere gesehen. Das Mädchen hält mit ihm Schritt, tief in Gedanken. Ihr Haarbewegt sich leicht im Wind, und er stellt sich vor, sie sei auf dem Schulweg– wie Britney damals.
Für Tianna war zu Fuß zur Schule gehen gleichbedeutend mit Alabama. Das Potpourri aus Formen, Klängen und Bewegungen entlang des Tallapoosa River in sich aufzunehmen und dem aufgeregten Stimmengewirr des Tages durch die feucht-sumpfigen Aromen in der Luft die Schärfe nehmen zu lassen. In Miami war das anders, diese freudlose Zickzackfahrt im Schulbus durch palmengesäumte Hauptstraßen. Von Anfang an wegen ihres rudimentären Spanglish gehänselt worden. Gleich am ersten Tag von zwei Jungen die Tasche geklaut bekommen. Sie wusste, dass die Jungs gehofft hatten, sie würde sich zu dem verzweifelten Versuch herabwürdigen, sie ihnen wieder abzujagen. Aber sie war plötzlich von der unschönen Erinnerung daran befallen worden, was er mal zu ihr gesagt hatte. Dass sie eine Frau wäre und kein kleines Mädchen, und darum hatte sie einfach verächtlich gewartet, bis es den Jungen zu langweilig wurde. Sie hatten sie auf Spanisch beleidigt, als sie ihr ihre Tasche vor die Füße warfen, aber sie taten es nur halbherzig und verzogen sich schnell auf der Suche nach einem dankbareren Opfer. Pappy Vince, erinnerte sie sich jetzt, hatte ihr auch schöne Sachen gezeigt.
Von der Cocktailbar ist es nur eine kurze Taxifahrt zu seiner Wohnung, einem Palast von funktionellem Understatement-Luxus. Pool und Whirlpool auf einer verglasten Veranda mit Blick auf den Ozean, und das Tintenblau von beidem geht beinahe fließend in der Farbe der Nacht auf. Er hatte für den Absacker seine Wohnung vorgeschlagen, und als sie an Ray dachte, der gerade irgendwo seine Koksgelage feierte, und das wahrscheinlich in den Armen irgendeiner Schlampe, hatte sie die Einladung nur zu gern angenommen.
Aaron Resinger passt zu seinem Heim, er sieht selbst wie ein Designobjekt aus. Das Haar dunkel und gewellt. Ein muskelbepackter Körper, seit seinen Collegetagen im Fitnessstudio aufgebaut und gewartet. Bekennender Workaholic und, wie er erklärt, einer der wenigen hier, die tatsächlich aus South Florida stammen. Er hatte an der University of Miami Stadtplanung, Bauprozessmanagement und Immobilienwirtschaft studiert und war während des Booms bei Eigentumswohnungen in den frühen Neunzigern reich geworden. Der Erfolg hatte seinen Preis gehabt, vor ein paar Monaten war eine langjährige Beziehung zu Bruch gegangen.– Seitdem habe ich sozusagen bloß meine Wunden geleckt, kommt es melodisch-melancholisch aus dem Kühlergrill seiner makellos weißen Zähne.
Nachdem er Trudi einen Drink eingeschenkt und ihr seine Kunstsammlung gezeigt hat, stehen sie
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