Crime
die Kleine richtiglag. Die Fahrt wird wohl mindestens drei Stunden dauern.– Du gehst schon mal zurück zum Wagen. Ich muss noch kurz telefonieren.
– Rufst du Momma an?
– Weißt du ihre Handynummer?
Tianna schüttelt den Kopf.
– Wieso nicht?
– Darum eben, sagt sie mit finsterem Blick.– Sie hat kein Guthaben mehr, und wechselt sie so oft, dass ich mir die Nummern nicht merken kann.
– Okay, wir können sie ja anrufen, wenn wir bei Chet sind. Er hat die Nummer bestimmt, und vielleicht hat sie bis dahin alles schon geregelt.
– Ja, vielleicht, sagt das Mädchen skeptisch.– Ich muss mal auf die Toilette.
Während sich Tianna zu den Toiletten neben dem Shop aufmacht, geht Lennox über den Vorplatz der Tankstelle zum öffentlichen Fernsprecher. Einmal tief Luftholen, und er ist bereit, das Zimmer im Colonial Hotel anzurufen.
– Hallo!, kommt ihr spitzer Schrei.
– Trudi, ich bin’s.
– Ray! Wo zum Teufel hast du gesteckt? Ich war krank vor Sorge! Ich wollte schon die Polizei rufen, die Krankenhäuser abklappern; ich wollte sogar schon deine Mutter und Bob Toal anrufen, heult sie. Plötzlich trifft sie die Wucht ihres schlechten Gewissens wie ein D-Zug, und sie ist froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen kann.– Bist du okay?
– Aye, mir geht’s gut. Lennox muss mental eine neue Welle der Erschöpfung wegboxen.– Geh bloß nicht zur Polizei.
– Hast du irgendwas genommen?, fragt sie in jäher, schriller Panik.– Etwa Kokain?
Er zögert. Entschließt sich, so ehrlich zu sein, wie er es für vertretbar hält.– Ich hab auf so einer Party n bisschen was genommen. Er schweigt, möchte am liebsten den ganzen Mumpitz ausspucken. Die Pop-Psychologie, den selbstanalytischen Ton anschlagen, der bei ihr gut ankommt. Er ist froh, dass sie sein Gesicht nicht sehen kann.– Aber mir geht es gut. Ich wollte bloß testen, ob ich’s wieder lassen kann. Es war eine einmalige Angelegenheit, sagt er in gewichtigem Tonfall,– und ich weiß selbst, dass es sich komisch anhört, aber ich hatte das Gefühl, ich müsste mich einfach mal vergewissern, dass das nichts mehr für mich ist. Sicher sein, dass ich »Nein danke« sagen kann.
– Und so sieht »Nein danke« bei dir aus, Ray? Die ganze Nacht wegzubleiben? Wo warst du denn?
– Ich weiß … tut mir leid … Ich brauchte bloß Zeit, um nachzudenken … es war ein Fehler.
– Zeit um nachzudenken? Du hattest genug Zeit zum Nachdenken, Ray. Zeit zum Nachdenken hat doch diese Scheißprobleme erst verursacht! Dann schaltet sie für einen Moment eine Stufe runter.– Wo warst du denn, Ray? Wo bist du? Bist du in Schwierigkeiten? Bist du?
– Nein, ich nicht. Jemand anderes. Ich hab gestern Abend n bisschen was getrunken. Hab Leute kennengelernt … so ein Pärchen, und bin mit zu einer Party in deren Wohnung. Dann kamen zwei Typen vorbei, und einer von denen hat versucht, sich an dieses Mädchen ranzumachen. Ihre Mutter steckt in irgendwelchen Schwierigkeiten. Ihr Freund ist abgehauen, die haben sich verkracht, und sie möchte, dass ich die Kleine zu ihrem Onkel bringe. Das ist eine Fahrt vonzwei, drei Stunden, und wir sind gerade losgefahren. Ich hab ein Auto gemietet.
– Was?!
– Ich hab ein Auto gemietet. Ich konnte die Kleine doch nicht sitzen lassen. Sie war ganz allein.
– Aber wo ist ihre Mutter? Und was hast du damit zu tun? Jetzt hör mal zu, Ray, die haben hier ihre eigene Polizei. Das hat doch nichts mit dir zu tun!
– Ich kann das Kind nicht sich selbst überlassen, protestiert Lennox.– Ich bring das Mädchen doch bloß zu seinem Onkel.
Die Verbindung war wie eine Zündschnur, der Hörer an seinem Ohr die Bombe, ihre Stimme die Flamme, die sich näher heranfraß.– Für wen hältst du dich denn? Das hat doch gar nichts mit dir zu tun. Ich hab was mit dir zu tun. Ich bin deine Verlobte! Wir verbringen hier unseren Urlaub!
– Hier geht irgendeine dubiose Scheiße ab. Ich muss mich vergewissern, dass dem Kind nichts passiert. Plötzlich alarmiert, schaut er über den Vorplatz der Tankstelle. Tianna redet mit ein paar jungen Typen. Sie sieht aus wie ein Teenager. Sie sieht aus wie eine Fernfahrernutte.
– Du musst! Du musst! Du laberst doch nur Scheiße! Meine Fresse! Hörst du dir eigentlich mal selber zu, Ray? Machst du nicht manchmal Pause und hörst dir an, was du da laberst, was da für ein Schwachsinn über deine Lippen kommt? Soll das unsere ganze Ehe lang so gehen?, stöhnt Trudi unglücklich.– Du musst
Weitere Kostenlose Bücher