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Crime

Crime

Titel: Crime Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh , Pößneck GGP Media GmbH
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nimmt das Gespräch eine abrupte Wendung.– Die Männer, die Momma mit nach Haus bringt, sind Dreckschweine, sagt sie mit leiser, zitternder Stimme, beinahe, als fürchte sie, von ihm für das Schimpfwort bestraft zu werden.
    – Aber Chet ist nicht so einer, oder?
    Sie schüttelt heftig den Kopf.
    – Ist er der Bruder deiner Mum oder deines Vaters?
    – Bloß Chet, und damit macht sie wieder zu und verstummt. Die Kellnerin kommt mit der Rechnung und schaut zu der Schlange, die sich vor der Tür gebildet hat. Lennox versteht den Wink und zahlt, dann stehen sie auf und gehen hinaus.
    Noch so ein Ersatzonkel. Aber musste das etwas Schlechtes sein? Er übte sich ja selbst gerade in der Rolle und weiß praktisch nichts über kleine Mädchen. Er versucht, sich in Erinnerung zu rufen, wie seine Schwester Jackie in Tiannas Alter war. Es war schwieriger, jemanden einzuschätzen, wenn man aus der Kinderperspektive zu ihm hochsah. Jackie war fünf Jahre älter als er, und alle hatten geglaubt, sie würde es weit bringen. Ihre Reitstunden waren ein Riesenthema in der Familie, was viel über sie aussagte. Und Jackie hatte sich gemacht. Sie war Anwältin geworden undhatte einen Spitzenanwalt geheiratet; Lennox, der in dem unerschütterlichen Glauben lebte, jeder, der seinen Lebensunterhalt durch Reden verdient, sei ein Klugscheißer, hatte Mühe, ihm nicht mit blankem Hass zu begegnen.
    Er hatte gespürt, dass Jackies Verachtung für den Rest der Familie mit jeder Reitstunde zunahm. Hatte die perverse Weise gehasst, in der seine Mutter sich daran weidete, dass ihre Tochter ihnen Geringschätzung entgegenbrachte, dass sie es als Triumph betrachtete, ein Kind großgezogen zu haben, das hochnäsig auf die eigene Familie herabsah, nur weil sie der Arbeiterklasse angehörte.
    Jackie hatte ihren Altbau in der Georgian New Town und ihr Landhaus in Deeside, einen erfolgreichen Ehemann und kultivierte BWL – Kinder. Das war ihr Leben, und er gönnte es ihr von Herzen. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, dass Trudi sie um diese Statussymbole beneidete, als sei sie überzeugt, dass Lennox eigentlich aus demselben Material geschnitzt sei und sie mit dem scharfen Skalpell ihrer Liebe die unschönen Ecken und Kanten wegkratzen und ihren Karrierepolizisten wieder auf die rechte Bahn bringen könne.
    Die Reitstunden. Galoppel, galoppel.
    Während Jackie hoch zu Ross war, fuhren Lennox und sein Freund Les Brodie mit dem Fahrrad überallhin. Weil man ihnen eingeschärft hatte, von den Hauptstraßen wegzubleiben, fuhren sie gerne den Waldweg am Fluss entlang zum Colinton Dell und in den dunklen Schlund des alten gemauerten Tunnels dort.
    Lennox zuckt plötzlich zusammen, weil etwas an seinem Gesicht vorbeitrudelt. Dann beruhigt sich sein Herzschlag: Drei Jungs werfen sich auf dem Parkplatz ein Frisbee zu, während ihre Mutter Einkäufe ins Auto lädt.
    – Entschuldigung, Sir, sagt ein schmächtiger kleiner Junge mit rosigem Gesicht. Mit seinen erwartungsvollen,aber traurigen Hundeaugen gehört er zu dem Typ Jungen, denkt Lennox, der immer ein bisschen Mitleid weckt, auch wenn man nicht in der depressiven Stimmung war wie er. Er hebt die Scheibe auf und wirft sie dem Jungen zu, der sie fängt und zurückwirft. Das Leuchten in den Augen verrät ihm, dass jetzt offiziell ein Spiel begonnen hat. Lennox schleudert das Frisbee in Tiannas Richtung, aber die rührt sich nicht und lässt es an sich vorbeisegeln.
    Sie würde gerne mitspielen, aber das sind ja bloß alberne Kinder. Genau das hatte er ihr beigebracht: Stell dich nicht an wie ein dummes Gör, du bist eine Frau, eine bildhübsche junge Frau . Er hatte ihr klargemacht, dass die Lebensjahre überhaupt nichts besagten, was zählte, war nur die innere Reife. Manche Zehnjährige waren zehn. Andere waren eher fünf. Es gab Zwanzigjährige, die sich wie Vierjährige benahmen. Aber nicht Tianna; sie war eine Frau, stark, stolz und sexy– das war nichts, wofür man sich schämen musste. Vince, Pappy Vince, hat ihr erklärt, dass sie sich nie dafür schämen muss, kein dummes, kleines Kind zu sein.
    Und so segelte ihre Kindheit an ihr vorbei wie das Frisbee, für andere Hände bestimmt.

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11
Fahrt ins Blaue
    Während die Karte in seiner zitternden, geschwollenen Hand flattert, zwickt Lennox das deutliche Gefühl, dass er gerade so richtig Scheiße baut. Während des Fahrens zu versuchen, einen Stadtplan von Miami und eine Straßenkarte von Florida zu lesen, fordert ein Unglück geradezu heraus.

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