Crisis
kindischen Versuch anzusehen, jemand zu sein, der er nicht war. Er war nun einmal dazu bestimmt, ein Arzt zu sein und dieser allumfassenden Berufung zu folgen, und kein Mitglied der Upperclass. Tatsächlich hatte er seinen ersten Doktorkasten von seiner Mutter, die ihn über alles liebte, geschenkt bekommen, als er vier Jahre alt war, und er konnte sich daran erinnern, wie er sie und seinen älteren Bruder mit einer frühreifen Ernsthaftigkeit behandelt hatte, die sein ärztliches Talent bereits erahnen ließ. Obwohl er auf dem College und sogar noch während der ersten Jahre an der medizinischen Fakultät geglaubt hatte, seine Berufung liege in der medizinischen Grundlagenforschung, hatte er später erkannt, dass er über eine besondere Gabe für die klinische Diagnose verfügte. Als er schließlich seinen Abschluss machte, wusste er, dass er ein Arzt mit besonderem Interesse für wissenschaftliche Forschung sein würde, und nicht umgekehrt.
Zwar hatten Alexis und seine beiden jüngeren Töchter, die elfjährige Meghan und die zehnjährige Christina, ihn versöhnlich und scheinbar verständnisvoll wieder aufgenommen, Tracy aber war eine ganz andere Geschichte gewesen. Mit fünfzehn Jahren steckte sie mitten in der Pubertät, und sie hatte Craig einfach nicht verzeihen können, dass er die Familie für sechs Monate verlassen hatte, was sie ihn auch deutlich hatte spüren lassen. Vielleicht hingen damit ihr besorgniserregender Drogenkonsum, demonstratives Zuspätkommen und sogar heimliches nächtliches Verlassen des Hauses zusammen. Alexis war zwar beunruhigt, aber da sie immer noch mit ihrer Tochter reden konnte, war sie sich ziemlich sicher, dass Tracy irgendwann wieder vernünftig werden würde. Sie drängte Craig, sich unter den gegebenen Umständen nicht einzumischen, und er folgte diesem Rat umso bereitwilliger, als er schon unter normalen Umständen nicht gewusst hätte, wie er mit dieser Situation umgehen sollte, und im Augenblick genug mit seinen eigenen Problemen zu tun hatte.
Richter Davidson strich zwei potenzielle Geschworene wegen Befangenheit. Der eine hasste Versicherungen und war der Ansicht, sie saugten das Land aus. Der andere hatte einen Cousin, der Patient in Craigs früherer Praxis gewesen war, und hatte gehört, dass Craig ein wunderbarer Arzt sei. Zwei Kandidaten wurden entlassen, als die beiden Anwälte von ihrem Recht Gebrauch machten, eine bestimmte Anzahl von Zeugen ohne Angabe von Gründen abzulehnen, und Tony einen gut gekleideten Geschäftsmann und Randolph einen jungen Afroamerikaner in auffälligem HipHop-Outfit aus der Jury verbannten. Vier weitere Kandidaten aus dem Kreis der Geladenen wurden hereingerufen und vereidigt. Dann ging die Befragung weiter.
Mit Tracys Verbitterung klarzukommen war schmerzlich für Craig gewesen, aber das war harmlos, verglichen mit den Problemen, die Leona ihm bereitete. Als verschmähte Geliebte wurde sie rachsüchtig, vor allem nachdem ihr klar geworden war, dass sie sich von einem Tag auf den anderen eine neue Wohnung suchen musste. Ihre nachtragende Art stiftete Unfrieden in der Praxis, und Craig steckte in einer Zwickmühle. Er konnte sie nicht entlassen, aus Angst, zusätzlich zu seinem Arzthaftungsverfahren von ihr wegen sexueller Diskriminierung verklagt zu werden, und so musste er mit ihr auskommen, so gut es eben ging. Warum sie nicht von sich aus kündigte, konnte er sich nicht erklären, denn zwischen ihr und Marlene und Darlene herrschte offener Krieg. Jeden Tag gab es eine neue Krise, in deren Verlauf Marlene und Darlene mit Kündigung drohten. Doch Craig konnte sie nicht gehen lassen, da er sie im Moment nötiger brauchte denn je. Durch die Klage war er sowohl emotional als auch körperlich so stark beeinträchtigt, dass es ihm fast nicht möglich war, zu praktizieren. Er konnte sich nicht konzentrieren und sah in jedem Patienten einen potenziellen Kläger. Seit dem Tag, als ihm die Klageschrift zugestellt worden war, litt er unter wiederkehrenden Angstschüben, die sein ohnehin empfindliches Verdauungssystem weiter angriffen und Sodbrennen und Durchfall auslösten. Verschlimmert wurden diese ganzen Beschwerden noch durch seine Schlaflosigkeit, die ihn zwang, Schlafmittel zu nehmen, was dazu führte, dass er sich morgens beim Aufwachen nicht frisch und ausgeruht, sondern matt und lustlos fühlte. Alles in allem war er in einem beklagenswerten Zustand. Das einzig Gute war, dass er dank seiner Appetitlosigkeit sein im Fitness-Club
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