Crisis
erzieltes Gewicht halten konnte. Allerdings war sein Gesicht wieder so blass und schwammig wie früher und seine von dunklen Rändern umgebenen Augen ließen ihn furchtbar aussehen.
Wie verhängnisvoll sich Leonas Verhalten auch in der Praxis auswirkte, wo sie Craig das Leben schwer machte, schwerer noch wog ihr Einfluss auf den Prozess. Die erste Ahnung von Ärger beschlich ihn, als sie auf Tony Fasanos Zeugenliste auftauchte. Wie schlimm es tatsächlich werden würde, zeigte sich bei ihrer Befragung unter Eid durch Randolph. Für Craig war es eine schmerzhafte Erfahrung, da er gezwungen war, das ganze Ausmaß ihrer Verbitterung über sich ergehen zu lassen, als sie ihn zum Schluss mit einer höhnischen Beschreibung seiner kläglichen Manneskraft demütigte.
Vor Leonas Befragung hatte Craig Randolph die Einzelheiten ihrer Affäre gebeichtet, damit Randolph wusste, was auf ihn zukam und welche Fragen er zu stellen hatte. Er hatte ihm auch erzählt, wie unverantwortlich redselig er an dem Abend, an dem ihm die Klageschrift zugestellt worden war, über seine Gefühle der Verstorbenen gegenüber gesprochen hatte, aber er hätte sich die Worte genauso gut sparen können. Ob aus Boshaftigkeit oder lediglich dank ihres guten Gedächtnisses hatte sich Leona an fast alles erinnert, was Craig über Patience Stanhope gesagt hatte, auch daran, dass er diese Frau hasse, die er als eine hypochondrische Hexe bezeichnet hatte, und an seine Behauptung, dass ihr Tod für alle ein Segen gewesen sei. Diese Enthüllungen hatten sogar Randolphs unerschütterlichem Optimismus, was den Ausgang des Verfahrens betraf, einen empfindlichen Dämpfer versetzt. Als er und Craig Fasanos Kanzlei im zweiten Stock eines Gebäudes an der Hanover Street im Bostoner North End verließen, war Randolph noch schweigsamer und steifer als sonst.
»Sie wird nicht gerade eine große Hilfe für mich sein, oder?«, hatte Craig in der vergeblichen Hoffnung gefragt, dass seine Ängste vielleicht unbegründet wären.
»Ich hoffe, das ist die einzige Überraschung, die Sie für mich bereithalten«, hatte Randolph erwidert. »Mit Ihrem unüberlegten Geschwätz haben Sie es geschafft, Ihre Verteidigung zu einer mühseligen Angelegenheit zu machen. Bitte versichern Sie mir, dass Sie sich nicht noch jemandem gegenüber in dieser bedauerlichen Weise geäußert haben.«
»Das habe ich nicht.«
»Gott sei Dank!«
Als sie in Randolphs wartendes Auto stiegen, hatte Craig sich eingestanden, dass er Randolphs herablassende Art hasste, doch später hatte er erkannt, dass er seine Abhängigkeit von ihm verabscheute. Craig war immer sein eigener Herr gewesen und hatte gegen alle Hindernisse angekämpft. Doch diesmal schaffte er es nicht alleine. Er brauchte Randolph, und diese Erkenntnis löste immer wieder ein Wechselbad der Gefühle in ihm aus.
Craig bemerkte, wie Randolph unwillig schnaufte, als Tony die adrett gekleidete Leiterin eines Pflegeheims als Geschworene ablehnte. Randolphs eleganter Finger klopfte missbilligend auf seinen gelben Notizblock. Scheinbar als Vergeltung strich er daraufhin die spindeldürre junge Frau in dem übergroßen Sweatshirt. Zwei weitere Personen aus der Geschworenen-Reserve wurden hereingerufen und vereidigt, dann wurde die Befragung fortgesetzt.
Craig beugte sich zu seinem Anwalt und fragte ihn flüsternd, was er tun müsse, wenn er auf die Toilette wolle. Sein gereizter Darm reagierte auf seine Anspannung. Randolph versicherte ihm, dass das überhaupt kein Problem sei und er einfach nur Bescheid sagen solle. Craig nickte und schob seinen Stuhl zurück. Es war demütigend, alle Blicke auf ihn gerichtet zu spüren, als er durch die Pforte in der Abtrennung schritt. Der einzige Mensch, den er wahrnahm, war Alexis. Jedem anderen Blickkontakt wich er aus.
Die Herrentoilette war altmodisch und stank nach schalem Urin. Hastig betrat Craig eine Kabine, um mehreren verdächtig aussehenden, unrasierten Männern aus dem Weg zu gehen, die bei den Waschbecken herumlungerten und sich mit gedämpfter Stimme unterhielten. Mit ihren graffitibeschmierten Wänden, dem zerbrochenen Marmormosaik-Fußboden und dem unangenehmen Geruch erschien die Herrentoilette Craig wie ein Symbol für sein gegenwärtiges Leben.
Mit einem Stück Toilettenpapier wischte er die WC-Brille ab. Er dachte erneut an Leonas Aussage. Obwohl sie hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den möglichen Ausgang des Verfahrens wahrscheinlich den größten Schaden angerichtet hatte, war es
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