Crisis
antwortete Randolph.
»Sehr gut, aber zunächst werden wir eine Mittagspause einlegen.« Er klopfte kurz mit seinem Hammer. »Das Gericht vertagt sich bis halb zwei. Die Geschworenen werden angewiesen, mit niemandem, auch nicht untereinander, über den Fall zu reden.«
»Bitte erheben Sie sich«, rief der Gerichtsdiener wie ein Stadtausrufer, als der Richter aufstand.
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Kapitel 3
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Boston, Massachusetts Montag, 5. Juni 2006 12.05 Uhr
Obwohl fast alle anderen nacheinander den Zuschauerraum des Gerichtssaals verließen, rührte sich Alexis Stapleton Bowman nicht vom Fleck. Sie beobachtete ihren Ehemann, der in dem Moment, als sich die Kassettentür des Richterzimmers geschlossen hatte, auf seinen Stuhl gesunken war wie ein Ballon, aus dem man die Luft gelassen hatte. Randolph redete mit gedämpfter Stimme auf ihn ein. Eine Hand hatte er auf Craigs Schulter gelegt. Randolphs Assistent, Mark Cavendish, stand auf der anderen Seite neben Craig und sammelte Unterlagen, Laptop und sonstigen Krimskrams ein und verstaute alles in einer offenen Aktentasche. Alexis hatte den Eindruck, Randolph versuche, Craig zu etwas zu überreden, und sie schwankte, ob sie hinübergehen und sich einmischen oder lieber abwarten sollte. Vorläufig beschloss sie, dass es das Beste sei, zu warten. Stattdessen musterte sie den Kläger, Jordan Stanhope, der durch die Pforte in der Abtrennung in den Zuschauerraum kam. Sein Gesichtsausdruck war neutral, sein Auftreten reserviert und seine Kleidung konservativ und teuer. Alexis sah, wie er wortlos zu einer jungen Frau trat, die ihm in ihrem Auftreten und ihrer förmlichen Kleidung glich wie ein Ei dem anderen. Als im Krankenhaus praktizierende Psychologin hatte Alexis schon zahlreiche Prozesse erlebt und in verschiedensten Funktionen ausgesagt, meistens jedoch als Sachverständige. Aus ihrer Erfahrung heraus wusste sie, dass es für alle Beteiligten jedes Mal eine bange Angelegenheit war, insbesondere für Ärzte, die wegen eines Behandlungsfehlers verklagt wurden, und ganz besonders für ihren Mann, der, wie sie wusste, momentan äußerst verwundbar war. Craigs Prozess war der Höhepunkt von zwei außerordentlich schwierigen Jahren, und von seinem Ausgang hing sehr viel ab. Dank ihrer Ausbildung und ihrer Fähigkeit, selbst in persönlichen Dingen objektiv zu bleiben, kannte sie Craigs Schwachpunkte genauso gut wie seine Stärken. Leider war sie sich darüber im Klaren, dass in dieser Krise die Verletzlichkeit überwog, und so bezweifelte sie, dass er, falls er aus dieser öffentlichen Infragestellung seiner ärztlichen Fähigkeiten nicht als Sieger hervorging, in der Lage sein würde, sein Leben wieder in Ordnung zu bringen, das bereits vor der Klage in einer ziemlich typischen Midlife-Crisis zersplittert war. Craig war zuallererst und vor allem anderen Arzt. Seine Patienten standen für ihn an erster Stelle. Das hatte sie von Beginn ihrer Beziehung an gewusst und akzeptiert, sogar bewundert, denn ihrer Einschätzung nach war der Arztberuf, vor allem wenn man sich bemühte, ein guter Arzt zu sein – und das wusste sie dank ihrer Arbeit in einem großen Krankenhaus aus erster Hand –, einer der härtesten, anspruchvollsten und gnadenlosesten Berufe der Welt.
Das Problem war, dass es, wie Randolph ihr anvertraut hatte, zumindest in erster Instanz durchaus denkbar war, dass Craig den Prozess verlor, auch wenn es gar keinen Behandlungsfehler gegeben hatte. Denn davon war Alexis in ihrem tiefsten Inneren überzeugt, nicht nur, nachdem sie die Geschichte gehört hatte, sondern auch weil sie wusste, dass für Craig seine Patienten immer Vorrang hatten, notfalls sogar nachts um drei. In diesem Fall wurde die Situation zusätzlich dadurch verkompliziert, dass die Klage genau in den Zeitraum fiel, in dem Craig als Reaktion auf seine Midlife-Crisis sein Leben neu ausrichten wollte. Die Tatsache, dass beides gleichzeitig auftrat, überraschte Alexis nicht. Sie hatte nicht viele Arzte in ihrer Praxis behandelt, denn Hilfe, speziell psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, lag nicht in der Natur eines Arztes. Sie kümmerten sich um Menschen, nicht umgekehrt. In dieser Hinsicht war Craig ein ausgezeichnetes Beispiel. Sie hatte ihm eindringlich geraten, sich in Therapie zu begeben, vor allem in Anbetracht seiner Reaktion auf die Aussagen von Leona und den Sachverständigen der Klägerseite, und sie hätte ohne Weiteres etwas für ihn arrangieren können, aber er hatte sich strikt
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