Crisis
er nie ein College besucht hatte, war er ein richtiges Wunderkind und arbeitete sich aus eigener Kraft bis in die Geschäftsleitung hoch. Als der alte Mann verstarb, heiratete er die Witwe, was für einige wilde Spekulationen sorgte. Er hat sogar den Namen der Familie angenommen.«
Trotz des hellen, sonnenerfüllten Junitags war es in Harolds Büro so dunkel, dass die Schreibtischleuchte und eine Stehlampe eingeschaltet sein mussten. Vor den Fenstern hingen schwere dunkelgrüne Samtvorhänge. Nachdem er die Jordan-Stanhope-Saga beendet hatte, trat Harold an einen senkrechten, mit vier Schubladen versehenen Hängeregisterschrank, der mit Mahagoni-Furnier verkleidet war. Aus der obersten Schublade zog er eine Mappe. Er entnahm drei Blatt Papier, von denen er eines Jack reichte. Die beiden anderen legte er auf seinen Schreibtisch. Er bedeutete Jack, auf einem der samtbezogenen Stühle vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen, ehe er sich selbst auf seinem Schreibtischstuhl mit hoher Rückenlehne niederließ.
»Was ich Ihnen gerade gegeben habe, ist die Exhumierungsgenehmigung«, sagte Harold. »Die muss Mr Stanhope unterschreiben und damit seine Einwilligung erteilen.«
Jack warf einen Blick auf das Formular, während er sich hinsetzte. Mit Jordans Unterschrift stand und fiel alles, aber noch wollte er sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. »Wer wird den Rest ausfüllen, nachdem Mr Stanhope unterschrieben hat?«
»Das werde ich erledigen. Welchen Zeitrahmen haben Sie denn im Auge?«
»Wenn die Autopsie überhaupt durchgeführt werden soll, muss es sofort geschehen.«
»Dann sollten Sie mir schnellstmöglich Bescheid geben. Ich muss nämlich vorher den LKW der Firma anfordern, die den Beton-Sarkophag geliefert hat, und einen Bagger bestellen.«
»Könnte die Autopsie hier in Ihren Räumlichkeiten durchgeführt werden?«
»Ja, im Balsamierungsraum, außerhalb unserer Öffnungszeiten. Das einzige Problem ist, dass wir vielleicht nicht alle Werkzeuge haben, die Sie brauchen. Wir haben zum Beispiel keine Schädelsäge.«
»Die nötigen Instrumente kann ich besorgen.« Jack war beeindruckt. Harold sah zwar ziemlich schräg aus, aber er wusste, wovon er sprach, und wirkte äußerst effizient.
»Ich sollte erwähnen, dass dies ein kostspieliges Unterfangen werden dürfte.«
»Von welchem Betrag reden wir?«
»Da sind zum einen die Kosten für den Bagger und die Sarkophag-Firma sowie die Friedhofsgebühren. Dazu kommen noch unsere Gebühren für die Beschaffung der Genehmigungen, die Beaufsichtigung des Vorgangs und die Nutzung unseres Balsamierungsraums.«
»Können Sie mir da eine ungefähre Größe nennen?«
»Mindestens einige tausend Dollar.«
Jack stieß einen leisen Pfiff aus, als hielte er die Summe für hoch, doch in Wirklichkeit erschien ihm das Ganze recht günstig, wenn man bedachte, was alles damit verbunden war. Er stand auf. »Haben Sie eine Telefonnummer, unter der ich Sie außerhalb der Bürozeiten erreichen kann?«
»Ich gebe Ihnen meine Handynummer.«
»Wunderbar«, sagte Jack. »Noch eines. Haben Sie die Adresse von Mr Stanhope?«
»Natürlich. Jeder kennt das Haus der Stanhopes. Es ist ein Wahrzeichen in Brighton.«
Wenige Minuten später saß Jack wieder in seinem Mietwagen und trommelte auf dem Lenkrad herum, während er darüber nachdachte, was er als Nächstes tun sollte. Es war inzwischen nach zwei Uhr. In den Gerichtssaal zurückzukehren reizte ihn nicht besonders. Er war schon immer eher fürs Handeln gewesen als fürs Zuschauen. Statt zurück in die Bostoner Innenstadt zu fahren, griff er nach dem Stadtplan. Es dauerte ein paar Minuten, doch dann hatte er das Newton Memorial Hospital gefunden und sich orientiert, so dass er bald darauf sein Ziel erreichte.
Das Newton Memorial Hospital sah aus wie fast alle anderen Vorstadt-Krankenhäuser, in denen Jack bis dahin gewesen war. Es bildete ein verwirrendes Durcheinander unterschiedlichster Flügel, die im Laufe der Jahre angebaut worden waren. Der älteste Teil wies vereinzelte Stilelemente auf, hauptsächlich Greek Revival, die wie die Dekoration auf einem Kuchen wirkten, aber die neueren Bauten wurden zunehmend schlichter. Der jüngste Anbau bestand nur noch aus Ziegeln und bronzefarben getöntem Glas ohne jegliche Verzierung.
Jack parkte im Besucherbereich, auf einem Parkplatz, der hinten an ein Feuchtgebiet mit einem kleinen Teich grenzte. Ein Schwarm Kanadagänse trieb reglos auf dem Wasser wie ein paar hölzerne Lockvögel. Jack
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