CROMM - Das Dorf findet dich
Franka darüber nach, zurück zum Auto zu gehen. Aber die Idee verwarf sie auf der Stelle. Sicher hatten die Dörfler die Fahrzeuge schon weggebracht oder doch zumindest alles ausgeräumt, Zündschlüssel inklusive. Und wo sollten sie auch hin? Das Dorf schien eine abgeschlossene Einheit zu sein. Eine verdammte Falle. Nein, sie mussten den schnellsten Weg nach draußen finden und dann laufen, laufen, laufen, bis zum nächsten Ort. Oder eine Tankstelle finden.
Ja, dachte Franka. Eine Tankstelle. Sie schloss die Augen und gönnte sich einen kurzen Ausflug in die Vergangenheit. Die Zeit vor der Straße, vor dem Dorf, vor dem Traktor, damals, als ihre Sorge noch war, wie sie die ganzen Einkäufe auf dem Tresen unterbrachte und was Remo dazu sagen würde, wenn sie wieder Vorräte hortete. Wie schön alles gewesen war, wie einfach. Wie lächerlich einfach.
Eine letzte Phase des Hochgefühls war an ihm fast unbemerkt vorübergezogen. Nur dass er kurz schmerzfrei gewesen war, war Jakob aufgefallen. Er hatte sich zu schnell an das Unwohlsein gewöhnt, als hätte es nie etwas anderes in seinem Leben gegeben.Und sobald er festgestellt hatte, dass seine Lunge nicht mehr brannte und sein Fieber-Gefühl verschwunden war, packte es ihn wieder mit ganzer Kraft. Zu husten war er nicht mehr in der Lage, nur ein leises Röcheln noch entstieg seiner Kehle. Im Inneren seiner Brust war ein Feuer, das schlimmer war als jedes Sodbrennen, das er je gehabt hatte. Er wünschte, ihm würde wieder die Kotze aufsteigen, dass er sich übergeben konnte. Danach würde es ihm besser gehen.
So ballte sich all die schlechte Energie in ihm und sie weigerte sich, auszubrechen. Erst als er erschöpft seinen Kopf hängen ließ und sein Kinn fast die Brust berührte, wurde ihm bewusst, dass sich seine Arme in einer unnatürlichen Stellung befanden. Sie hielten sich oben, und als er versuchte, sie zu senken, spürte er die Ketten an seinen Handgelenken. Ein widerlicher, abgestandener Geruch drang ihm in die Nase. Nein, er hatte ihn schon die ganze Zeit begleitet. Jakob roch seine eigene Kotze. Sie war auch auf seiner Kleidung und seine Hose klebte feucht an seinen Oberschenkeln. Seine Beine zitterten unkontrolliert und ihm war kalt. Er schloss die Augen, spürte die Nässe seiner Tränen, öffnete sie wieder und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf seinen Körper. Auf die Umgebung, die er nur schemenhaft wahrnahm. Noch immer befand sich ihm gegenüber eine Gestalt, die sich im Schatten von der Mauer abhob. Auch ihre Arme waren nach oben gehoben.
Er spürte wieder diese Berührung an seinem Bein. Ein kleiner Stoß, der ihn wacher rüttelte.
»Hey«, hörte er eine erschöpfte, männliche Stimme, »hey, hörst du mich? Sag' doch endlich was.«
Hatte die Gestalt schon länger mit ihm gesprochen? War Jakob zu sehr auf seinen Körper fixiert gewesen, als dass er es bemerkt hätte? Er spürte wieder dieses Fieber in sich und das ungewohnt ausgefüllte Gefühl in seinem Bauch. Seine Lunge, sie brannte. Er konnte nicht mehr ...
»Bitte«, flehte die Gestalt, »sag irgendetwas.«
Jakob stellte sich vor, wie er ein Wort herausbrachte, wie seine Stimmbänder den Laut bilden würden, wie es aus ihm treten würde. Und es half, als er krächzte:
»Irgendetwas.«
Ein kurzer schmutziger Laut ertönte, wohl ein ungläubiges Auflachen, aber es klang ohne Energie und verzweifelt.
»Du warst weggetreten«, sagte die Gestalt.
Jetzt war es an Jakob, solch einen Laut auszustoßen. Es brannte wieder in seiner Lunge und ehe er etwas erwidern konnte, packte ihn eine Hust-Attacke, die ihm kleine, feuchte Stückchen in den Mund spülte. Er spuckte sie auf den Boden und Speichel lief ihm über das Kinn hinab. Aber es schmeckte auch nach etwas anderem, metallisch und dickflüssig. Er wollte sich unbedingt trocken und sauber wischen, endlich befreit sein von seinem eigenen Schmutz. Kurz stieg eine ungekannte Verzweiflung in ihm auf, dann erinnerte er sich an seinen Traum.
»Ich habe geheiratet«, sagte er.
»Was?«
»Vergiss es«, krächzte er. Das Sprechen fiel ihm schwer, aber es war besser, als sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. Also musste er weitermachen. »Wo sind wir?«
Das Jetzt war wichtig, der Gegenüber. Jakob durfte sich nicht erlauben, nur auf seinen Körper zu hören. Er musste sich, verdammt noch mal, dazu zwingen. Er war dankbar, dass noch jemand anderes in derselben Lage war.
»Ich weiß es nicht«, krächzte der
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