Cromwell, Bernard
Weile, krümmte
sich in augenscheinlichem Leid, und die Menschenmenge hielt den Atem an, wohl
wissend, dass er mit Erek sprach. Saban warf einen besorgten Blick auf Camaban
und fragte sich, warum sein Bruder nicht eine ähnliche Schau abzog, aber
Camaban gähnte nur gelangweilt.
Scathel warf den Kopf in den Nacken und heulte den klaren
Abendhimmel an. Dann verebbte das Heulen zu einem gedämpften Wimmern, und der
Priester verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. »Der Gott
spricht«, stieß er mit rauer, erstickt klingender Stimme hervor, »er spricht!«
Saban kämpfte gegen seine panische Angst an, denn er konnte sich nur zu genau
denken, wie die Botschaft des Gottes lautete. Er blickte abermals zu Camaban
hinüber; aber der hatte ein streunendes Kätzchen aufgehoben und las jetzt mit
demonstrativer Unbekümmertheit die Flöhe aus seinem Fell. »Wir müssen Blut
benutzen!«, kreischte Scathel, und mit diesen Worten streckte er blitzschnell
die Hände nach Saban. »Packt ihn!«
Ein Dutzend Krieger wetteiferten miteinander, Saban zu
ergreifen und festzuhalten, und alles geschah in einem solchen Tempo, dass ihm
keine Zeit blieb, sich zu verteidigen. Haragg versuchte, ein paar der Männer
von ihm wegzuziehen, aber der Händler wurde kurzerhand mit einem Speerschaft
niedergeschlagen. Cagan tobte und stürzte vorwärts, um seinem Vater zu Hilfe zu
eilen; es waren sechs Männer nötig, um den taubstummen Riesen zu überwältigen
und mit dem Gesicht nach unten neben der Grube auf den Boden zu drücken. Saban
wehrte sich verzweifelt, doch die Speerkämpfer pressten ihn hart an die Wand
von Kerevals Hütte. Sie beachteten die heftigen Proteste des Clanführers
nicht, denn die Nachricht, dass ein Teil von Ereks Gold verloren war, hatte sie
in Wut versetzt.
Der Hohepriester schüttelte seinen mit Möwenfedern
besetzten Umhang ab. Er war jetzt nackt. »Erek!«, schrie er. »Was ich diesem
Mann antue, tu du seinem Bruder an!«
Saban war völlig hilflos; er konnte nur zuschauen, wie
Scathel langsam auf ihn zukam. Der Gesichtsausdruck des Hohepriesters war von
Triumph erfüllt, von Sieg und Erregung, und Saban erkannte, dass Scathel seine
Grausamkeit genoss. Camaban schenkte dem Streit keinerlei Beachtung, sondern
kraulte das Kätzchen an der Kehle, während Scathel ein Feuersteinmesser von
einem der Priester entgegennahm. »Reiß Lengar das Auge heraus!«, schrie er zu
dem Gott im Himmel empor, dann packte er eine Hand voll von Sabans Haar. Die
Speerkämpfer umklammerten ihn noch fester, und das Einzige, was Saban tun
konnte, war, den Blick abzuwenden, als die Feuersteinklinge näher und immer
näher rückte.
»Nein!«, rief Aurenna laut.
Das Messer erzitterte wie ein großer Schatten am Rande von
Sabans Blickfeld.
»Nein!«, hielt Aurenna das Geschehen an. »Nicht, solange
ich lebe!«
Scathel fauchte wütend und fuhr zu ihr herum.
»Nicht, solange ich lebe«, wiederholte sie ruhig. Sie
hatte sich durch die Menschenmenge gedrängt und bot Scathel jetzt mutig die
Stirn. »Wirf das Messer weg!«
»Was bedeutet er dir?«, verlangte Scathel zu wissen.
»Er erzählt mir Geschichten«, verkündete Aurenna. Sie
starrte Scathel fest und unverwandt in die Augen, und Saban, der den Priester
immer für ziemlich groß gehalten hatte, sah plötzlich, dass die Sonnenbraut
fast genauso groß wie Scathel war. Sie trotzte ihm in all ihrer weißen und
goldenen Herrlichkeit, und ihr Rücken war kerzengerade, ihr Ausdruck gelassen
wie immer. »Und wenn ich zu meinem Ehemann gehe«, erklärte sie dem Priester,
»wird er ein Zeichen wegen des Goldes schicken.«
Scathels Gesicht verzerrte sich. Ein junges Ding von einem
Mädchen erteilte ihm Befehle — aber dieses Mädchen war eine Göttin, und es
blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen; also zwang er sich, den Kopf zu neigen
und zurückzuweichen. »Werft ihn in die Grube«, befahl er den beiden
Speerkämpfern.
Aber Aurenna schritt auch diesmal wieder ein. »Nein! Er
hat mir immer noch einiges zu erzählen.«
»Er gehört in die Grube!« beharrte Scathel.
»Nicht, bevor ich gehe!« Aurenna fixierte Scathel mit
starrem Blick, bis der Priester schließlich nachgab und den Speerkämpfern mit
einer Geste bedeutete, Sabans Arme loszulassen.
Am nächsten Abend warf der Steinpfeiler im Tempel der
Sonnenbraut nicht den leisesten Schatten, weil sich im Westen dicke graue
Wolken am Himmel zusammengeballt hatten. Aber die Priester entschieden, die
Zeit sei dennoch gekommen.
Im
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