Cromwell, Bernard
bespannen, ein Bullenkalb zu
kastrieren und Fische mit einem Speer zu fangen. Von seiner Tochter sah er nur
wenig. Lallic war ein nervöses Kind mit ausgeprägter Furcht vor Spinnen,
Nachtfaltern und Hunden. »Sie ist zart«, behauptete Aurenna. »Kränklich?«,
fragte Saban.
»Nein, nicht kränklich, nur zart und anfällig. Zerbrechlich.«
Das Mädchen machte tatsächlich einen zerbrechlichen Eindruck, wie Saban
feststellte, aber sie war auch bildhübsch. Ihre Haut war weiß und klar, ihre
goldblonden Wimpern waren lang und fein, und ihr Haar glänzte so hell wie das
ihrer Mutter. »Sie ist auserwählt«, fügte Aurenna hinzu.
»Auserwählt? Wofür?«, wollte Saban wissen.
»Sie und Leir sollen die Hüter des neuen Tempels sein«,
sagte Aurenna stolz. »Leir wird Priester werden und Lallic eine Priesterin. Sie
sind bereits Slaol und Lahanna geweiht.«
Saban dachte an die Begeisterung seines Sohnes für die
Kriegsspiele, die die Kinder um den Stein herum ausgetragen hatten. »Ich glaube
aber, Leir würde lieber Krieger werden.«
»Du setzt ihm Flausen in den Kopf«, tadelte Aurenna, »denn
Lahanna hat ihn bereits auserwählt.«
»Lahanna? Nicht Slaol?«
»Hier herrscht Lahanna«, erklärte Aurenna, »die wahre
Lahanna, nicht die falsche Göttin, die sie früher verehrt haben.«
Als die Ernte eingebracht war, tanzte das Volk von
Cathallo in dem großen Tempel und wand sich in einer langen Schlange zwischen
den Steinpfeilern hindurch, um Opfergaben in Form von Weizen, Gerste und
Früchten am Fuß des Ringsteins niederzulegen. An diesem Abend fand ein großes
Fest in der Siedlung statt; und Saban fand es seltsam, dass sowohl seine Kinder
als auch alle die Waisenkinder, die bei Aurenna lebten, auf dem Fest waren -
Aurenna selbst sich jedoch immer noch im Tempel aufhielt. Lallic vermisste ihre
Mutter, und als Saban sich seiner Tochter annahm und sie aufzumuntern
versuchte, verzog sich ihre Miene, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbrechen
würde.
Im Tempel brannte ein Feuer, und sein heller Schein
beleuchtete die Umrisse des von Schädeln gekrönten Ringwalls; doch als Saban
auf den Wall zuging, um Aurenna zu holen, wurde er von einem Priester aufgehalten.
»Heute Nacht liegt ein Fluch auf dem Tempel.«
»Heute Nacht?«
»Nur heute.« Der Priester zuckte die Achseln und schob
Saban sanft wieder zu dem Fest zurück. »Die Götter wollen nicht, dass du dort
bist!«
Kilda sah Saban zurückkehren; sie überließ Hanna der Obhut
einer anderen Frau und kam auf Saban zu, um ihn beim Arm zu nehmen. »Ich habe
gesagt, ich würde es dir zeigen«, erklärte sie.
»Was willst du mir denn zeigen?«
»Was Derrewyn und ich gesehen haben.« Sie zog ihn in die
Schatten, dann führte sie ihn in nördlicher Richtung von der Siedlung fort.
»Ich habe dir ja gesagt, dass uns keiner verraten würde«, sagte sie. »Aber sie
haben dich wiedererkannt?«
»Natürlich.«
»Und Hanna? Wissen die Leute, wer sie ist?«
»Wahrscheinlich«, meinte Kilda gleichmütig, »aber sie ist
ein Stück gewachsen, seit sie das letzte Mal hier war und ich mache den Leuten
weis, dass sie meine Tochter ist. Alle tun so, als glaubten sie mir.« Sie
sprang über einen Graben, dann wandte sie sich nach Osten. »Keiner wird Hanna
verraten.«
»Du bist nicht aus Cathallo?«, fragte Saban. Er wusste
noch nicht viel über Kilda; aber ihre Sprechweise ließ erkennen, dass sie die
Sprache von Cathallo erst relativ spät gelernt hatte. Er wusste, dass sie etwas
mehr als zweiundzwanzig Sommer zählte, aber ansonsten war sie eine Fremde für
ihn.
»Ich wurde als Kind in die Sklaverei verkauft«, antwortete
sie. »Mein Volk lebt am östlichen Meer. Das Leben dort ist sehr hart, und
Töchter bringen mehr ein, wenn man sie verkauft. Wir verehren den Meeresgott,
Crommadh, und Crommadh wählt die Mädchen aus, die verkauft werden sollen.«
»Wie?«
»Sie führen uns weit ins Watt hinaus und lassen uns mit
der hereinkommenden Flut um die Wette laufen. Die Schnellsten werden behalten,
damit sie heiraten, und die Langsamsten werden verkauft.« Sie zuckte die Achseln.
»Die Allerlangsamsten werden ertränkt.«
»Und du hast zu den Langsamen gehört?«
»Das war Absicht«, sagte sie steif, »weil mein Vater mich
nachts zu besteigen pflegte. Ich wollte ihm entkommen.«
Sie wandte sich nach Süden, um sich dem Tempel von der
anderen Seite her zu näheren. Kein Priester oder Wächter hatte gesehen, wie sie
weit draußen auf den Feldern einen Bogen schlugen, und am
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