Cromwell, Bernard
geworden ist?«
»Das hat sie niemals behauptet«, stritt Saban energisch ab.
»Aber sie will nicht mehr bei dir liegen.«
»Bist du den ganzen weiten Weg gekommen, um mir das zu
sagen?«, fragte Saban verärgert.
Derrewyn lachte. »Du weißt doch gar nicht, woher ich
gekommen bin. Genauso wenig, wie du weißt, dass deine Ehefrau bei Camaban
liegt.«
»Das ist nicht wahr!«, fuhr Saban wütend auf.
»Ach nein?«, fragte Derrewyn und drehte sich zu ihm um.
»Dennoch sagen die Männer, dass Camaban Slaol ist, und die Frauen behaupten,
Aurenna ist Lahanna. Wollt ihr die beiden nicht mit euren Tempelsteinen
zusammenbringen? Eine heilige Vermählung der Götter? Vielleicht proben Camaban
und Aurenna die Hochzeitsnacht, Saban?«
Saban berührte seine Lenden, um Böses abzuwehren. »Du
erzählst wieder mal Märchen«, sagte er bitter, »das hast du schon immer getan.«
Derrewyn zuckte die Achseln. »Wie du meinst, Saban!« Sie
sah, wie sehr sie ihn aufgebracht hatte, daher ging sie zu ihm und berührte ihn
leicht an der Hand. »Ich will nicht mit dir streiten«, sagte sie demütig,
»nicht an einem Tag, an dem ich gekommen bin, um einen Gefallen von dir zu
erbitten.«
»Was du sagst, ist einfach nicht wahr!«
»Ich erzähle wirklich manchmal Märchen«, flüsterte
Derrewyn unterwürfig. »Es tut mir Leid.«
Saban atmete tief durch. »Und was ist das für ein Gefallen?«,
fragte er misstrauisch.
Derrewyn machte eine abrupte Geste in Richtung des Waldes,
und Saban hatte den Eindruck, dass dort sechs oder sieben Gestalten im Schatten
der Birken standen - aber nur zwei von ihnen traten an den Waldsaum.
Die eine war eine große, hellhaarige Frau in einem zerschlissenen
Rehlederhemd, das halb von einem Schaffellumhang bedeckt war, die andere ein
Kind, vielleicht in Lallics Alter oder auch ein Jahr jünger. Es war ein
dunkelhaariges kleines Mädchen mit großen Augen und einem bangen Gesicht. Die
Kleine starrte Saban an, klammerte sich jedoch fest an die Hand der Frau und
versuchte dann, sich unter dem Umhang aus Schaffell zu verstecken.
»Die Wälder sind kein geeigneter Ort für ein Kind«, sagte
Derrewyn. »Wir führen ein hartes, entbehrungsreiches Leben, Saban. Um zu essen
zu haben, müssen wir stehlen und töten; wir trinken aus Bächen und schlafen, wo
immer wir Schutz finden. Das Kind ist schwach und anfällig. Wir hatten noch ein
Kind bei uns, einen Jungen, aber er ist im letzten Winter gestorben; ich befürchte,
dieses Mädchen wird ebenfalls sterben, wenn sie bei uns bleibt.«
»Du willst, dass ich das Kind aufziehe?«, fragte Saban.
»Kilda wird die Kleine aufziehen«, sagte Derrewyn, während
sie mit einer Kopfbewegung auf die große Frau wies. »Kilda war eine der
Sklavinnen meines Bruders, und sie kennt Merrel seit ihrer Geburt. Alles, was
ich von dir will, ist, dass du Kilda und Merrel an einem sicheren Ort
unterbringst.«
Saban starrte das kleine Mädchen an, obwohl er nur wenig
von ihrem Gesicht sehen konnte, weil sie es im Rock der Sklavin vergraben
hatte. »Sie ist deine Tochter«, bemerkte er zögernd.
»Ja, das ist sie«, gestand Derrewyn, »und Camaban darf
niemals erfahren, dass sie lebt; deshalb wird sie von heute an einen anderen
Namen tragen.« Sie wandte sich an Merrel. »Hast du gehört? Und nimm den Daumen
aus dem Mund!«
Abrupt riss das Mädchen die Hand vom Gesicht und blickte
Derrewyn ernst an, und Derrewyn bückte sich, sodass sie der Kleinen in die
Augen schauen konnte. »Du heißt jetzt Hanna, denn du bist Lahannas Kind. Wer
bist du?«
»Hanna«, sagte das Mädchen mit schüchterner Stimme.
»Und Kilda ist deine Mutter - du wirst in einer richtigen
Hütte wohnen, Hanna, und Kleider und gutes Essen und Freunde haben! Und eines
Tages komme ich zurück und hole dich.« Derrewyn richtete sich wieder auf.
»Wirst du das für mich tun, Saban?«
Schweigend nickte Saban. Er wusste nicht, wie er Kildas
und Hannas Ankunft erklären sollte, aber da würde ihm sicher etwas einfallen.
Er war einsam, und die Arbeit am Tempel schien kein Ende zu nehmen; außerdem
vermisste er seine eigene Tochter schmerzlich, deshalb war ihm Derrewyns Kind
willkommen.
Derrewyn ging in die Hocke und umarmte ihre kleine
Tochter. Sie hielt sie eine lange Weile fest umschlungen, dann erhob sie sich,
schniefte und verschwand im Dickicht.
Saban blieb mit Kilda und dem Kind zurück. Kildas Haut war
schmutzig und ihr Haar fettig und zottelig - aber ihr Gesicht war breit, mit
starken Knochen und einem
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