Cromwell, Bernard
die Stimme ertönte,
und Saban legte ihr schützend einen Arm um die Schultern, als sie herumfuhren;
neben dem Gerippe erhob sich eine dunkle, in einen Kapuzenumhang gehüllte
Gestalt und kam langsam auf sie zu. Einen Moment lang glaubte Saban, es sei
Haragg, der wieder zum Leben erwacht war, dann schüttelte Kilda plötzlich
seinen Arm ab, rannte los und ließ sich vor der Gestalt auf die Knie sinken.
»Derrewyn!«, rief sie freudig. »Derrewyn!«
Ein Arm schob die Kapuze zurück, und Saban sah, dass es
tatsächlich Derrewyn war. Eine ältere Derrewyn, weißhaarig und mit einem so
mageren Totenschädel auf den Schultern, dass sie ihn unwillkürlich an Sannas
erinnerte. »Du hast die Goldraute hinterlegt, Saban?«, fragte sie.
»Mein Sohn und deine Tochter waren das«, erwiderte er.
Derrewyn lächelte. Kilda hielt ihre Beine umschlungen;
Derrewyn löste sich sanft aus dieser Umklammerung und kam auf Saban zu. »Dein
Sohn und meine Tochter«, sagte sie, »sind jetzt Liebende?«
»Ja.«
»Ich habe gehört, dein Leir ist ein rechtschaffener Mann«,
fuhr Derrewyn fort. »Also, warum hast du nach mir geschickt? Ist es deshalb,
weil dein Bruder alle Sklaven töten will? Das wusste ich schon. Ich weiß
alles, Saban. Mir entgeht nicht ein Wort von dem, was in Ratharryn oder
Cathallo getuschelt wird.« Sie sah sich in dem Sonnenhaus um, blickte an den
hohen Steinen hinauf. »Es stinkt bereits nach Blut, aber Camaban wird immer
noch mehr Blut vergießen. Er wird den Tempel so lange mit Blut tränken, bis es
niemanden mehr gibt für Wunder.« Sie lachte verächtlich. »Nie mehr Winter? Nie
mehr Krankheit und Leid? Und vielleicht wird sogar der Tod besiegt sein? Also
angenommen, das Wunder geschieht nicht, Saban — was wird dein Bruder dann tun?
Einen neuen Tempel bauen? Oder diesen hier einfach weiter mit Blut, Blut und
immer noch mehr Blut füttern, bis man die Erde nicht mehr sieht?«
Saban sagte nichts. Derrewyn strich mit der Hand über die
Flanke des Muttersteins, der das Mondlicht stärker reflektierte als die Steine
aus Cathallo. »Oder vielleicht wird es mit seinem Wunder ja auch klappen«, fuhr
Derrewyn fort. »Vielleicht werden wir die Toten ja hier wandeln sehen. Alle
Toten, Saban, ihre Gerippe bleich und fleischlos, während sie sich mit
knirschenden Gelenken zwischen den Steinen bewegen.« Sie spuckte aus. »Ihr
werdet keine Gräber mehr in Ratharryn ausheben, wie?« Sie begab sich zwischen
die äußeren Steine und starrte zu den von Feuerschein erhellten Sklavenhütten
in dem kleinen Tal hinüber. »In zwei Tagen, Saban«, sagte sie, »will dein
Bruder alle diese Menschen töten. Er wird vorgeben, ein Festmahl für sie zu
veranstalten — aber seine Krieger werden die Hütten umzingeln und die Sklaven
mit ihren Speeren hierher treiben, um sie abzuschlachten. Woher ich das weiß?
Ich habe es von den Frauen in Cathallo erfahren, Saban, wohin dein Bruder
heimlich geht, um bei deiner Ehefrau zu liegen. Die beiden treiben es
miteinander, nur dass sie es natürlich nicht so nennen. Sich paaren ist das,
was du und ich früher miteinander getan haben, was ihr beide, du und Kilda,
tut, was dein Sohn wahrscheinlich mit meiner Tochter tut, noch während du hier
stehst und mich mit offenem Mund anglotzt. Nein, Camaban und Aurenna proben die
Hochzeit von Slaol und Lahanna. Es ist ihre heilige Pflicht«, höhnte sie, »aber
in Wirklichkeit trotzdem nichts anderes als sich paaren, auch wenn man es noch
so sehr mit Gebeten verbrämt - und wenn sie fertig sind, unterhalten sie sich,
und glaubst du, die Frauen von Cathallo geben nicht jedes einzelne Wort an mich
weiter, das sie aufschnappen?«
»Ich habe dir die Goldraute geschickt, damit du mir
hilfst«, sagte Saban. »Ich will, dass die Sklaven am Leben bleiben.«
»Selbst wenn das bedeutet, dass es mit Camabans Wunder
nicht klappt?«
Saban zuckte die Achseln. »Ich glaube, Camaban hegt
schreckliche Zweifel, weshalb ihn auch der Wahnsinn befallen hat«, äußerte er
ruhig. »Und dieser Wahnsinn wird nicht aufhören, bis er seinen Tempel geweiht
hat. Vielleicht wird Slaol ja kommen? Ich wünschte, es würde geschehen.«
»Und wenn er nicht kommt?«, fragte Derrewyn.
»Dann habe ich einen großartigen Tempel erbaut«, erwiderte
Saban fest, »und nach all dem werden wir hierher kommen, tanzen und beten, und
die Götter werden die Steine so benutzen, wie sie es für richtig halten.«
»Soll das alles gewesen sein?«, fragte Derrewyn missmutig.
»Ein Tempelbau?«
Saban
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