Cromwell, Bernard
neben einen der größeren
Steinblöcke des Tempels flach auf den Rücken. Ein Mann hielt Camaban an den
Schultern fest, während der andere den verkrüppelten Fuß hochhielt, sodass das
Licht des Vollmonds darauf fiel. »Ich werde dich entweder töten«, erklärte
Sannas, »oder heilen.« Sie hielt einen schweren Steinhammer und ein Messer in
den Händen, das aus dem Schulterblatt eines toten Mannes gefertigt war, und
setzte die Knochenklinge auf den grotesk verkrümmten Klumpen von Camabans Fuß.
»Es wird wehtun«, sagte sie und lachte dann, als ob Camabans Schmerz ihr
Vergnügen bereiten würde.
Der Krieger, der den Klumpfuß hielt, zuckte zusammen, als
der Hammer auf das Knochenmesser schlug und die Spitze der Schneide tief in das
Fleisch trieb. Sannas hämmerte abermals und bewies dabei eine erstaunliche
Kraft für ihr Alter. Blut, schwarz in dem hellen Mondlicht, strömte aus der
tiefen Wunde, sickerte über die Hände des Kriegers und lief an Camabans Bein
herab. Sannas benutzte das Knochenmesser als Meißel und schlug noch mehrmals
mit dem Hammer darauf, dann riss sie die Messerspitze mit einem Ruck aus
Camabans Fuß und biss die Zähne zusammen, als sie die verkrümmten Fußknochen
gewaltsam in die entgegengesetzte Richtung bog. »Du hast ja Zehen!«, staunte
sie; die beiden Krieger erschauderten und wandten den Blick ab, als sie das
Knacken von Knorpeln, das Splittern von Knochen und das Knirschen hörten,
während Sannas die gebrochenen Knochen gerade zog.
»Lahanna!«, schrie Sannas und hämmerte die Knochenklinge
abermals in Camabans Fuß, um die scharfe Spitze in einen anderen Teil des
wulstigen Fleisches mit den verkrümmten Knochen zu treiben.
Schließlich streckte Sannas den gebrochenen Fuß und
schiente ihn dann mit Hirschknochen, die sie mit Streifen aus Wolfsfell
festband. »Ich habe Knochen benutzt, um Knochen zu heilen«, erklärte sie
Camaban, »und du wirst entweder sterben oder wie jeder andere laufen können.«
Camaban starrte sie halb bewusstlos an. Der Schmerz war
schlimmer gewesen, als er jemals erwartet hatte. Es war ein Schmerz gewesen,
der die gesamte von Mondschein erhellte Welt füllte, aber er hatte nicht ein
einziges Mal auch nur gewimmert. In seinen Augen standen Tränen, aber er hatte
keinen Laut von sich gegeben, denn er wusste, er würde nicht sterben. Er würde
leben, weil Slaol es so wollte. Weil er auserwählt war. Weil er das
verkrüppelte Kind war, ausgesandt, die Welt in Ordnung zu bringen. Er —
Camaban!
5. KAPITEL
D er Winter ging vorüber. Die Lachse
kehrten in den Fluss zurück, und die Saatkrähen nisteten wieder in den hohen
Ulmen, die westlich von Ratharryn wuchsen. Der Kuckuck schrie, und Libellen
schossen im Zickzack über die Oberfläche des Flusses, wo sich im Winter dicke
Eisschollen getürmt hatten. Lämmer blökten zwischen den Grabhügeln der Ahnen,
und Reiher taten sich an den frisch ausgeschlüpften Entenküken gütlich. Der
melodische Gesang der Amseln hallte durch die Wälder, wo die Hirsche im Laufe
des Frühlings ihr graues Winterfell verloren und ihr altes Geweih abwarfen.
Hengalls Vater hatte einmal behauptet, gesehen zu haben, wie die Damhirsche ihr
eigenes Geweih fraßen — aber in Wirklichkeit war es Syrax gewesen, der
Hirschgott, der durch die Wälder streifte und die Geweihe wieder an sich nahm.
Die abgeworfenen Geweihe waren als Werkzeuge hoch geschätzt, deshalb
versuchten die Männer, sie zu finden, bevor Syrax sie einsammelte.
Die Felder wurden gepflügt. Die wohlhabenderen
Stammesmitglieder spannten einen Ochsen vor die im Feuer gehärtete Pflugschar,
während andere ihre Familien dazu abkommandierten, den Holzpflug durch den
Erdboden zu ziehen. Sie zogen Furchen von Osten nach Westen, dann von Norden
nach Süden, bevor die Priester kamen, um die erste Hand voll Saatgut
auszustreuen. Die vorherige Ernte war schlecht gewesen, aber Hengall hatte
genügend Saatgut in seiner Hütte gehortet und rückte es jetzt heraus, um die
Felder zu bestellen. Einige Felder blieben brachliegen, weil die Erde erschöpft
war;
aber im Frühling des vergangenen Jahres hatten die Männer
am Waldrand Bäume entrindet, die abgestorbenen Bäume dann im Herbst verbrannt
und das frisch gerodete Land gepflügt und eingesät, während die Frauen den
Göttern ein Lamm opferten. Turmfalken kreisten über dem Alten Tempel, wo wilde
Orchideen blühten und blau geflügelte Schmetterlinge flatterten.
Im Sommer, sobald das Flöten der Amseln verstummte,
Weitere Kostenlose Bücher