Cromwell, Bernard
aufgeschnitten und die Knochen
gerade gebogen«, erklärte Derrewyn. »Überall war Blut! Sie hat es in der Nacht
des Vollmonds getan, und er hat keinen Muckser von sich gegeben; danach hat sie
seinen Fuß mit ein paar Hirschknochen geschient, und er hat Fieber bekommen.«
Sie machte sich daran, die Gänseblümchen zu einem Kranz zu flechten. »Aber er
ist wieder gesund geworden«, fügte sie hinzu.
»Woher weißt du das alles?«, erkundigte Saban sich.
»Ein Händler hat die Neuigkeiten mitgebracht, während du
in den Wäldern gewesen bist«, gab sie Auskunft. Sie hielt inne, um mit einem
scharfen Fingernagel einen Schlitz in den Stängel eines Gänseblümchens zu
ritzen. »Und er hat erzählt, dass Sannas wütend auf deinen Bruder ist.«
»Warum?«
»Weil Camaban einfach verschwunden ist«, erklärte Derrewyn
stirnrunzelnd. »Noch bevor sein Fuß richtig verheilt war, ist er fortgegangen,
und keiner weiß, wohin. Sannas dachte, er wäre vielleicht hierher gekommen.«
»Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte Saban und war irgendwie
verstimmt darüber, dass er diese Neuigkeiten über seinen Bruder nicht eher
erfahren hatte; vielleicht war er aber auch enttäuscht, dass Camaban nicht nach
Ratharryn gekommen war, obwohl er sich keinen Grund vorstellen konnte, warum
Camaban das Bedürfnis haben sollte, den Stamm seines Vaters aufzusuchen. Saban
hatte seinen linkischen, stotternden Halbbruder trotz allem gern, und es machte
ihn traurig, dass Camaban sich von ihm nicht verabschiedet hatte. »Ich
wünschte, er wäre hierher gekommen«, sagte er.
Derrewyn schauderte. »Ich bin ihm nur einmal begegnet«,
berichtete sie, »und ich fand, der hatte etwas Furchterregendes.«
»Er ist nur unbeholfen«, verteidigte Saban ihn und lächelte
leicht. »Früher habe ich ihm oft Essen gebracht, und es hat ihm Spaß gemacht,
mich zu erschrecken. Er ist immer herumgehüpft und hat wirres Zeug gebrabbelt
und so getan, als wäre er verrückt.«
»Er hat so getan?«
»Es macht ihm Spaß, sich zu verstellen.«
Derrewyn zuckte die Achseln, dann schüttelte sie den Kopf,
als ob Camabans Schicksal völlig unwichtig sei. Südlich des Tempels war eine
Gruppe von Männern damit beschäftigt, den Schafen die Wolle vom Rücken zu
reißen, sodass die Tiere jämmerlich blökten. Derrewyn lachte über den Anblick
der nackten Schafe, und Saban beobachtete sie verstohlen, staunte über die Feinheit
ihres Gesichts und die Glätte ihrer sonnengebräunten Beine. Derrewyn war nicht
älter als er, dennoch schien es Saban, dass sie ein Selbstbewusstsein besaß,
das ihm fehlte. Sie gab vor, nicht zu bemerken, dass sie bewundert wurde,
sondern wandte sich nur ab, um zu dem Alten Tempel hinüberzusehen, wo Gilan von
Galeth und dessen Sohn Mereth unterstützt wurde, der nur ein Jahr jünger als
Saban war. Nur ein Jahr, obwohl der Altersunterschied zwischen ihm und Mereth
nun, da Saban ein Mann war, auf einmal eine viel größere Bedeutung hatte.
Gilan und seine zwei Helfer versuchten, den Mittelpunkt
des Heiligtums zu finden, und zu diesem Zweck hatten sie eine lange Schnur aus
geflochtenen Rindenfasern über den grasbewachsenen Kreis innerhalb des Walls
gespannt. Als sie sicher waren, die äußerste Stelle des Kreises ermittelt zu
haben, legten sie die Schnur genau in der Hälfte zusammen und befestigten ein
Grasbüschel an der Schlaufe an einem Ende. Auf diese Weise wussten sie, dass
sie eine Linie hatten, die so lang wie der Durchmesser des Kreises war, und
dass das Grasbüschel den exakten Mittelpunkt der Linie markierte; jetzt zogen
sie die Schnur wieder lang und spannten sie mehrmals über die Fläche des
Kreises. Galeth hielt das eine Ende der Schnur, Mereth das andere, und Gilan
stand in der Mitte, um zu überprüfen, ob seine beiden Helfer rechts neben dem
Wall standen oder darauf oder direkt dahinter; und jedes Mal, wenn er überzeugt
war, dass sie an der richtigen Stelle standen, markierte er den Punkt, wo das
Grasbüschel an die Schnur gebunden war, indem er einen Stock in den Boden
steckte. Es ragten jetzt ein Dutzend Stöcke aus der Erde, alle nicht mehr als
eine Handbreit voneinander entfernt, obwohl keine zwei genau dieselbe Stelle
markierten, und Gilan fuhr fort, immer wieder neu Maß zu nehmen, in der Hoffnung,
endlich zwei übereinstimmende Punkte zu finden.
»Warum müssen sie den Mittelpunkt des Tempels finden?«,
wollte Saban wissen.
»Weil sie am Morgen des Sommersonnenwendtages genau
bestimmen wollen, wo Slaol aufgeht«, erklärte
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