Cromwell, Bernard
werden?«, fragte Lengar.
»Was Slaol will«, wies ihn Camaban in die Schranken,
»werde ich in die Wege leiten — und du wirst überhaupt nichts tun, es sei denn,
ich sage es dir.« Er ging weiter in die Mitte des Heiligtums, wo der flache
Hügel, unter dem der Leichnam des tauben kleinen Mädchens begraben lag, einen
Schatten in dem hellen Licht des Vollmonds warf. Camaban stach mit seinem
Stock tief in die weiche Erde und versuchte, die Leiche hochzuheben; aber
obwohl er das Erdreich aufwühlte, vermochte er den leblosen Körper nicht von
der Stelle zu bewegen.
Angewidert wich Lengar vor dem Verwesungsgestank zurück,
der aus dem gelockerten Erdreich aufstieg. »Was machst du da?«, fuhr er den
Bruder an.
»Ich säubere den Ort von ihr«, erklärte Camaban. »Das
darfst du nicht!«, sagte Lengar empört, aber Camaban ignorierte ihn und ließ sich
auf die Knie fallen, um mit beiden Händen die Erde und das Kreidegeröll von dem
Körper wegzuscharren. Nachdem er ihn fast freigelegt hatte, stand er wieder auf
und benutzte abermals seinen Stock; diesmal gelang es ihm, die verwesende
Leiche ins Mondlicht zu hieven.
»Jetzt wird sie noch einmal begraben werden müssen«,
hielt Lengar ihm vor.
Camaban ging zornig auf ihn los. »Dies ist mein Tempel,
Lengar, nicht deiner. Er gehört mir!« Das letzte Wort kam fauchend aus seinem
Mund, und Lengar wich angstvoll zurück. »Ich habe den Tempel sauber gehalten,
als ich ein Kind war! Ich habe diesen Ort geliebt, ich habe Slaol in diesem
Kreis verehrt, als der Rest von euch an Lahannas Titten saugte! Dieser Ort
gehört mir!« Er rammte seinen Stock in den Körper des toten Kindes und
zertrümmerte seinen Brustkorb. »Dieses Ding hier war eine Botin, die vor ihrer
Zeit ausgeschickt wurde, denn der Tempel ist noch nicht fertig.« Er spuckte auf
die Leiche, dann zog er seinen Stock mit einem Ruck aus dem starren Körper.
»Die Vögel und die wilden Tiere können sie haben«, meinte er wegwerfend und
ging nun zum Sonneneingang des Tempels. Er ignorierte die beiden Steinsäulen,
die das Tor flankierten, wandte sich stattdessen den paarweise aufgestellten
Sonnensteinen zu. Er betrachtete die beiden Kolosse stirnrunzelnd. »Diesen hier
werden wir behalten«, sagte er, während er eine Hand auf den größeren der
beiden Pfeiler legte, »aber den da könnt ihr umstoßen.« Damit wies er auf den
kleineren Stein. »Einer genügt für die Sonne!« Mit einem lakonischen Winken
verabschiedete er sich und begann dann, in Richtung Norden zu marschieren, um
ebenso plötzlich und unerwartet wieder zu verschwinden, wie er gekommen war.
»Wo gehst du hin?«, rief Lengar ihm nach.
»Ich habe noch verschiedene Dinge zu lernen«, gab Camaban
Auskunft, »und wenn ich über sie Bescheid weiß, werde ich zurückkehren.«
»Um was zu tun?«
»Den Tempel zu bauen natürlich«, erläuterte Camaban, als
er sich umwandte. »Du willst doch, dass Ratharryn groß und mächtig wird, nicht?
Aber glaubst du, du kannst irgendetwas ohne die Götter erreichen? Ich werde
dir einen Tempel verschaffen, Lengar, der diesen jämmerlichen Stamm in den
Himmel erhebt!« Er zog seines Wegs.
»Camaban!«, rief Lengar.
»Was ist denn?«, fragte Camaban gereizt, während er sich
abermals umwandte.
»Du bist doch auf meiner Seite, nicht?«, erkundigte sich
Lengar ängstlich.
Camaban lächelte. »Ich liebe dich, Lengar«, bekannte er,
»wie einen Bruder.« Und damit strebte er weiter in die Dunkelheit.
Saban erfuhr, dass es Haragg gewesen war, der Lengar und
seine Männer von Sarmennyn nach Ratharryn geführt hatte; denn nur ein
erfahrener Händler kannte die Gegend, wusste, wo die Gefahren lagen und wie man
sie mied — Haragg war einer der erfahrensten Händler des Landes. Seit zehn Jahren
reiste er nun schon kreuz und quer durch die Welt, begleitet von seinem
taubstummen Sohn und seiner Packtierkolonne aus drei zotteligen Pferden, die
mit Bronzebarren, Äxten und allem anderen beladen waren, was er gegen den
Feuerstein, den schwarzen Gagat, den Bernstein und die Kräuter eintauschen
konnte, die man in Sarmennyn nicht auftreiben konnte. Manchmal, so erklärte er
Saban, beförderte er auch die Zähne und Knochen von Meeresungeheuern, die an
die Strände von Sarmennyn angeschwemmt worden waren, um sie gegen wertvolle
Metalle und kostbare Steine einzutauschen.
All dies teilte Haragg Saban mit, während sie Richtung
Norden wanderten. Bisweilen sprach der Händler in Sabans Muttersprache, aber
die meiste Zeit
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