Cromwell, Bernard
um Hengalls Geist handelte, der sich an ihm rächen wollte.
»Nein«, flüsterte er bebend, »nein!«
»Doch«, sagte eine tiefe Stimme, und Lengar stieß einen
abgrundtiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er Camaban erblickte. »Ich
hatte mich zuletzt doch entschlossen, dir aus Sarmennyn zu folgen«, erklärte
Camaban.
Lengar stellte fest, dass er nichts darauf zu erwidern
wusste. Er schwitzte vor Furcht.
Der Mann Camaban stand vor ihm. Sein Gesicht war schmaler
als früher und sehr viel härter, mit hohen Wangenknochen, tief liegenden Augen
und einem breiten, boshaften Mund. Sein Haar, früher eine wirre, verfilzte
Mähne, hatte er jetzt ordentlich mit einer Lederschnur am Hinterkopf
zusammengebunden, von der eine klappernde Quaste kleiner Knochen herabbaumelte.
Er trug eine Halskette aus den Rippenknochen kleiner Kinder und hielt einen
langen Stock in der Hand, auf dessen Spitze ein menschlicher Unterkiefer
steckte. Jetzt rammte er den Stock mit aller Kraft in den Grabhügel. »Hast du
das gefühlt, Vater?«
»Tu das nicht!«, krächzte Lengar. »Hast du etwa Angst vor
Hengall?«, fragte Camaban spöttisch. Er rammte den Stock abermals in den Hügel,
dann spuckte er aus. »Hast du das gespürt, Hengall? Ich habe auf dich
gespuckt!« Er stieß den Stock hart in das Kreidegeröll. »Kannst du das fühlen,
Hengall? Fühlst du, wie es brennt? Ich bin's, Camaban!«
Lengar krabbelte hastig von dem Grabhügel herunter. »Warum
bist du nach Ratharryn gekommen?«, wollte er wissen.
»Um mich zu vergewissern, dass du das Richtige getan
hast, natürlich«, erwiderte Camaban. Ein letztes Mal spuckte er hasserfüllt auf
seinen Vater, dann stieg er den Grabhügel hinunter und ging in Richtung Himmelstempel.
Er hinkte noch immer leicht, aber sein Gang war jetzt sehr viel weniger
auffällig als früher. Obwohl Sannas seinen Fuß gerichtet hatte, indem sie die
verkrümmten Knochen gebrochen und gerade gezogen hatte, ließ sich der Fuß
nicht richtig abrollen; deshalb hatte Camaban nach wir vor einen etwas
unsicheren Gang, obwohl es kein Vergleich mit dem grotesken, schiefen Humpeln
von ehedem war.
Lengar folgte Camaban zum Tempel. »Du brauchst mir nicht zu
sagen, was ich zu tun habe. Ich weiß schon selbst, was richtig und was falsch
ist!«
»Jetzt bist du auf einmal wieder mutig, wie?«, höhnte
Camaban. »Du hast vor Angst geschlottert, als ich dich vorhin gefunden habe!
Hast gedacht, ich sei Hengalls Geist, stimmt's?« Er lachte verächtlich.
»Nimm dich in Acht, Bruder«, warnte Lengar.
Camaban fuhr herum und spuckte ihn an. »Du würdest mich
am liebsten töten, nicht? Aber ich bin Slaols Diener, Lengar, Slaols Freund.
Töte mich, du Idiot, und der Himmel wird dich verbrennen! Die Erde wird sich
weigern, deine Gebeine aufzunehmen, und selbst die wilden Tiere werden vor dem
Gestank deiner Leiche zurückschrecken! Sogar die Würmer und Maden werden dein
ekelhaft verwesendes Fleisch zurückweisen, Bruder, und du wirst zu einer gelben
Hülle vertrocknen, die der Wind zu den vergifteten Marschen am Ende der Welt
weht!« Er zeigte im Sprechen mit seinem Stock auf Lengar, und Lengar wich vor
den Drohungen zurück. Lengar mochte zwar älter sein sowie einen beneidenswerten
Ruf als Krieger haben - aber Camaban verfügte über magische Kräfte, die Lengar
fehlten. »Hast du Saban getötet?«, fragte Camaban.
»Ich habe ihn Haragg als Sklave überlassen.«
»Gut«, erwiderte Camaban seelenruhig.
»Und ich habe seine Braut genommen.«
»Warum auch nicht?«, meinte Camaban. »Irgendjemand muss
es ja schließlich tun. Ist sie schön?« Er wartete nicht lange auf eine
Antwort, sondern steuerte weiter auf den Himmelstempel zu, wo er den flachen
äußeren Wall überquerte, durch den Ringgraben hinkte und dann auf den hohen
inneren Wall kletterte. Dort blieb er stehen und starrte auf die vier
Mondsteine. »Sie sind offenbar fleißig gewesen«, sagte er sarkastisch. »Gilans Werk?«
Lengar zuckte die Achseln, denn er wusste nichts über den
Neuen Tempel. »Gilan ist tot.«
»Gut.« Camaban nickte. »Das hier muss nämlich sein Werk
sein. Entweder er oder irgendein priesterlicher Abschaum aus Cathallo. Sie
hatten nicht den Mut, einen Tempel für Slaol zu bauen, ohne sich auch vor
Lahanna zu verneigen.«
»Wieso vor Lahanna?«
»Das da sind Mondsteine«, grollte Camaban, während er mit
seinem Stock auf die paarweise angeordneten Säulen und Steinplatten im Inneren
des Tempels zeigte.
»Du willst, dass sie entfernt
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