Cromwell, Bernard
Stimme.
Leckan gab ihr noch weitere Anweisungen. Sie war jetzt
eine Göttin, deshalb durfte man sie niemals essen oder trinken sehen, obwohl
man ihr, wo auch immer sie in Sarmennyn hinging, eine Hütte zur Verfügung
stellen würde, in die sie sich zurückziehen konnte. Zwei Frauen würden ihre
ständigen Begleiterinnen und Dienerinnen sein und vier junge Speerkämpfer ihre
Beschützer. »Es steht dir frei, zu gehen, wohin du möchtest, erhabene Göttin«,
murmelte er Aurenna zu, »aber es ist üblich, dass die Göttin im ganzen Land
herumreist, um ihren Segen zu erteilen.«
»Und ...«, begann Aurenna, aber die Worte erstarben in
ihrer Kehle. »Und wann ...«, hub sie erneut an, war jedoch immer noch nicht im
Stande, den Satz zu beenden.
»Und am Ende«, sagte Leckan ruhig, »wirst du hier sein,
und wir werden dich zu deinem Ehemann geleiten. Es tut nicht weh.« Er zeigte
auf die Sonne, die jetzt zwischen den Wolken brannte. »Dein Ehemann wird nicht
einen Herzschlag länger als unbedingt nötig warten wollen. Du wirst keinen
Schmerz fühlen.«
»Keinen Schmerz?« schrie plötzlich eine Stimme hinter
ihnen. »Keinen Schmerz? Es muss schmerzhaft
sein! Welche Braut fühlt keinen Schmerz? Schmerz und Blut! Blut und Schmerz!«
Der Mann, der diese Worte gebrüllt hatte, kam jetzt in den Tempel, wo er sich
vor Aurenna zu Boden warf und die Hände nach ihren Füßen ausstreckte.
»Natürlich wird sie Schmerz empfinden!«, rief er in das Gras. »Unvorstellbaren
Schmerz! Dein Blut wird kochen, deine Knochen werden zersplittern, und deine
Haut wird schrumpfen. Es ist ein entsetzlich qualvoller Tod. Du könntest dir
solch unerträgliche Schmerzen niemals vorstellen, selbst wenn du bis zum Ende
deiner Tage Qualen ausstehen solltest!« Er rappelte sich wieder vom Boden auf.
»Deine Schmerzensschreie werden gellen«, fauchte er Aurenna an, »denn du bist
eine Sonnenbraut!«
Der Mann war mit einem Dutzend Gefolgsleuten gekommen,
alle nackt wie ihr Anführer und alle Priester, aber nur er hatte sich Aurenna
genähert. Er war eine hoch gewachsene, abgezehrte Gestalt mit ausgemergelten
Zügen und glühenden Augen, langen gelben Zähnen, wirrem, verfilztem schwarzen
Haar und einer mit zahllosen Narben bedeckten Haut. Seine Stimme klang wie das
höhnische Gekrächze eines Raben, sein knochiger Körper war so knotig wie
Feuerstein, seine geschwärzten Finger so gekrümmt wie Klauen. »Schmerz ist der
Preis, den du zahlst!«, schleuderte er dem völlig verängstigen Mädchen
entgegen. Er trug einen mit einer schweren Feuersteinspitze versehenen Speer,
den er wild hin und her schwenkte, während er zwischen den Steinen
herumsprang. »Deine Augen werden aufplatzen, deine Sehnen werden schrumpfen,
und deine Schreie werden von den Felsen widerhallen!«, brüllte er.
Camaban hatte die seltsame Demonstration beobachtet und
still in sich hineingegrinst, doch Kereval war in den Tempel gerannt.
»Scathel!«,rief er ärgerlich. »Scathel!«
Scathel, der Hohepriester von Sarmennyn, hatte dieses Amt
zu dem Zeitpunkt innegehabt, als die Schätze gestohlen worden waren; aber er
hatte sich selbst die Schuld an dem Verlust des Goldes gegeben, und deshalb war
er in die Hügel gegangen, wo er die Felsen anheulte und seinen Körper mit
Feuersteinklingen malträtierte. Einige der anderen Priester waren ihm gefolgt,
und als sich Scathels Anfall von Wahnsinn legte, hatten sie einen neuen Tempel
oben in den Felsen gebaut; dort beteten, hungerten und erniedrigten sie sich
nun selbst, um den Verlust der Schätze wieder gutzumachen. Viele im Stamm
glaubten, Scathel wäre für immer gegangen - aber jetzt war er unerwartet wieder
aufgetaucht.
Er ignorierte Kereval und schob Leckan ungeduldig mit
seinem Speer aus dem Weg, damit er auf die furchterfüllte Aurenna zugehen
konnte. Wenn Scathel von ihrer Schönheit beeindruckt war, so ließ er jedenfalls
nichts davon erkennen, sondern schob stattdessen sein vernarbtes, abgezehrtes
Gesicht dicht vor ihres. »Du bist eine Göttin?«, verlangte er zu wissen.
Aurenna brachte keinen Ton hervor, nickte jedoch demütig
als Antwort auf seine Frage.
»Dann habe ich eine dringende Bitte an dich«, rief Scathel
laut, damit jede Menschenseele in der Siedlung ihn hören konnte. »Unsere
Schätze müssen zurückgegeben werden! Wir müssen sie wiederhaben!« Sein Speichel
spritze ihr ins Gesicht, als er sprach, und sie trat einen Schritt zurück, um
den Spucketröpfchen auszuweichen. »Ich habe einen Tempel gebaut!«,
Weitere Kostenlose Bücher