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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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oben in ihr Zimmer. Er wusste, sie würde noch stundenlang
wach bleiben - die Nacht war jetzt ihre Domäne, und allmählich wurde sie auch
die seine. Manchmal saß er die halbe Nacht bei ihr und las ihr vor.
    »Danke«, sagte Amy, als er es sich mit einem
Buch bequem machte.
    »Wofür?«
    »Weil du mir das Schwimmen beigebracht hast.«
    »Anscheinend konntest du es schon. Jemand muss
es dir gezeigt haben.«
    Mit verwirrtem Blick dachte sie über diese
Feststellung nach. »Ich glaube nicht«, sagte sie dann.
    Er wusste nicht, was er von all dem halten
sollte. So vieles bei Amy war rätselhaft. Es schien ihr gut zu gehen - besser
als gut sogar. Was immer auf dem Gelände mit ihr passiert war, was immer dieses
Virus sein mochte, sie schien es überstanden zu haben. Nur die Sache mit dem
Licht war sonderbar. Und ein paar andere Dinge: Warum, zum Beispiel, schienen
Amys Haare nicht zu wachsen? Seine eigenen kräuselten sich inzwischen über den
Kragen, aber wenn er Amy anschaute, schien sie noch genauso auszusehen wie
immer. Er hatte ihr auch nie die Fingernägel geschnitten, und dass sie es
selbst getan hätte, hatte er auch nicht gesehen. Dazu kamen natürlich die
tieferen Geheimnisse: Was hatte Doyle und alle andern in Colorado getötet? Wie
hatte dieses Ding auf der Motorhaube Carter und zugleich doch nicht Carter
sein können? Was hatte Lacey gemeint, als sie sagte, Amy gehöre jetzt ihm, und
er werde wissen, was er zu tun habe? Es sah ganz so aus; er hatte gewusst, was
er zu tun hatte. Und trotzdem konnte er nichts von all dem erklären.
    Später, als er mit dem Vorlesen aufhörte, sagte
er ihr, er werde am nächsten Morgen ins Tal fahren. Es ging ihr gut genug,
dachte er, um allein in der Lodge zu bleiben. Es würde ja nur eine oder zwei
Stunden dauern. Er wäre zurück, bevor sie es merkte, bevor sie auch nur aufwachte.
    »Ich weiß«, sagte sie, und auch darauf konnte
Wolgast sich keinen Reim machen.
     
    Kurz nach sieben Uhr fuhr er los. Nachdem der
Toyota so lange stillgestanden und sich Pollen von den Bäumen darauf
angesammelt hatte, protestierte er lange und keuchend, als Wolgast den Motor
starten wollte, aber irgendwann sprang er doch an. Der Morgennebel über dem
See fing gerade erst an zu verdunsten. Wolgast legte den Gang ein und fuhr im
Schritttempo die lange Zufahrt hinunter.
    Die nächste richtige Stadt war dreißig Meilen
weit entfernt, aber so weit wollte er nicht fahren. Wenn der Toyota eine Panne
hätte, wäre er aufgeschmissen, und Amy auch. Der Tank war ohnehin fast leer. Er
fuhr den Weg zurück, auf dem sie gekommen waren, und hielt an jeder Weggabelung
an, um seine Erinnerung zu überprüfen. Er sah keine anderen Fahrzeuge; das war
in dieser Abgeschiedenheit nicht überraschend, beunruhigte ihn aber trotzdem.
Die Welt, in die er, wenn auch nur für kurze Zeit, zurückkehrte, fühlte sich
anders an als die, aus der er vor drei Wochen gekommen war.
    Dann sah er es: Milton's
General Store I Jagd- und Angellizenzen. Im Dunkel jener ersten
Nacht war der Laden größer erschienen, als er tatsächlich war; in Wirklichkeit
war es nur ein kleines, zweigeschossiges Gebäude aus verwitterten
Holzschindeln. Ein Häuschen im Wald, wie aus einem Märchen. Auf dem Parkplatz
waren keine Autos, aber im Gras dahinter stand ein alter Lieferwagen aus den
neunziger Jahren. Wolgast stieg aus und ging zum Eingang.
    Auf der Veranda reihte sich ein halbes Dutzend
Zeitungskästen aneinander, leer bis auf einen: USA
Today. Er sah die fette Schlagzeile schon durch die
verstaubte Klappe, die offen stand. Als er ein Exemplar herausnahm, stellte er
fest, dass es nur eine Doppelseite umfasste. Er blieb auf der Veranda stehen
und las.
    CHAOS IN COLORADO
    Rocky-Mountain-Staat von
Killervirus überrannt - Grenzen geschlossen
    Ausbruch der Epidemie auch in Nebraska, Utah,
Wyoming gemeldet. Präsident versetzt Militär in höchste Alarmbereitschaft und
fordert die Nation auf, angesichts einer »nie dagewesenen terroristischen
Bedrohung« Ruhe zu bewahren.
     
    WASHINGTON, 18. MAI - Präsident Hughes kündigte
gestern Abend an, »alle notwendigen Maßnahmen« zu ergreifen, um die Ausbreitung
des sogenannten »Colorado-Fieber-Virus« einzudämmen und die Verantwortlichen
zu bestrafen: »Der gerechte Zorn der Vereinigten Staaten von Amerika wird die
Feinde der Freiheit und jeden Schurkenstaat treffen, der ihnen Unterschlupf
gewährt.« Der Präsident sprach aus dem Oval Office. Es war seine erste Rede zur
Nation seit Ausbruch der

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