Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
plötzlich
war sie so nervös, dass ihr nichts anderes einfiel. Ein Schloss mit einem
Wassergraben? Ein Schloss, sagte die Lehrerin, ich verstehe. Und was noch,
kleine Sara? Plötzlich lächelte sie nicht mehr. Ich weiß es nicht, sagte Sara.
Gut, sagte die Lehrerin und räusperte sich. Es ist kein Schloss.
    Und dann sagte sie es ihr.
    Zuerst hatte Sara ihr nicht geglaubt. Aber das
traf es nicht genau: Es war, als habe sich ihr Kopf in zwei Hälften gespalten,
und die eine Hälfte, die Hälfte, die nichts wusste, die noch ein kleines Kind
war und im Morgenkreis saß und im Hof spielte und darauf wartete, dass ihre Eltern
sie abends zudeckten, verabschiedete sich von der anderen Hälfte, die es
irgendwie immer gewusst hatte. Als nehme sie Abschied von sich selbst. Ihr
wurde davon schwindlig und übel, und sie fing an zu weinen. Die Lehrerin nahm
sie wieder bei der Hand und führte sie durch einen Flur und aus der Zuflucht
hinaus. Draußen warteten ihre Eltern, die sie nach Hause holen wollten - in das
Haus, in dem Sara und Michael heute noch wohnten und von dessen Existenz Sara
bis zu diesem Tag nichts gewusst hatte. Das ist nicht wahr, stammelte
Sara unter Tränen, das ist nicht wahr. Und
ihre Mutter weinte auch, und sie nahm sie auf den Arm und drückte sie an sich
und sagte: Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid.
Es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr.
    Die Erinnerung an diesen Augenblick ging ihr
immer wieder durch den Kopf, wenn sie sich der Zuflucht näherte, die heute so
viel kleiner aussah, als sie damals gewesen war, so viel gewöhnlicher. Ein
altes, aus Backstein gemauertes Schulhaus, dessen Name - F.
D. Roosevelt Elementary - in Stein gemeißelt
über der Tür stand. Vom Weg aus sah sie einen einzelnen Wächter oben auf der
Eingangstreppe: Hollis Wilson.
    »Hi, Sara.«
    »'n Abend, Hollis.«
    Hollis balancierte eine Armbrust auf der Hüfte.
Sara mochte diese Waffe nicht. Sie hatte eine große Durchschlagskraft, doch das
Nachladen dauerte zu lange, und außerdem war sie schwer. Alle erzählten immer,
es sei unmöglich gewesen, Hollis von seinem Bruder zu unterscheiden, bis er
sich den Bart abrasiert habe, aber Sara sah das anders. Schon als kleines Kind
- die Brüder Wilson waren drei Jahre vor ihr aus der Zuflucht gekommen - hatte
sie immer gewusst, wer Hollis und wer Arlo war. Es waren Kleinigkeiten, an
denen sie es erkannte, Details, die man auf den ersten Blick vielleicht gar
nicht bemerkte, zum Beispiel, dass Hollis ein kleines bisschen größer war und
sein Blick ein bisschen ernster. Aber für sie war es offensichtlich.
    Als sie die Stufen hochging, deutete Hollis mit
dem Kopf auf den Tontopf, den sie trug, und grinste. »Was hast du mir
mitgebracht?«
    »Hasenragout. Aber leider ist es nicht für
dich.«
    Er staunte. »Da bin ich platt. Woher hast du den
Hasen?«
    »Von der Oberen Weide.«
    Er stieß einen leisen Pfiff aus und schüttelte
den Kopf. Sara sah ihm den Heißhunger förmlich an. »Ich kann dir gar nicht
sagen, wie sehr ich Hasenragout vermisse. Darf ich mal dran riechen?«
    Sie schlug das Tuch zur Seite und öffnete den
Deckel. Hollis beugte sich über den Topf und atmete tief durch die Nase ein.
    »Ich könnte dich wohl nicht dazu überreden, es
hier bei mir zu lassen, während du reingehst?«
    »Schlag's dir aus dem Kopf, Hollis. Ich bringe
es Elton.«
    Unbekümmert zuckte er die Achseln. Er hatte es
nicht ernst gemeint. »Na, einen Versuch war's wert. Okay, gib mir dein Messer.«
    Sie zog es aus der Scheide und reichte es ihm.
Nur Wächter durften die Zuflucht mit einer Waffe betreten, und auch sie mussten
darauf achten, dass die Kleinen sie nicht sahen.
    »Ich weiß nicht, ob du's gehört hast.« Hollis
schob das Messer in seinen Gürtel. »Wir haben eine neue Bewohnerin.«
    »Ich war den ganzen Tag mit der Herde draußen.
Wer ist es?«
    »Maus Patal. Wundert wohl keinen.« Hollis zeigte
mit seiner Armbrust auf den Weg. »Galen ist eben gegangen. Wundert mich, dass
du ihn nicht gesehen hast.«
    Sie war tief in Gedanken gewesen. Galen hätte an
ihr vorbeigehen können, ohne dass sie ihn bemerkte. Und Maus war schwanger. Warum
war sie überrascht?
    »Tja.« Sie brachte ein Lächeln zustande und
fragte sich, was sie dabei empfand. War es Neid? »Das ist eine tolle
Neuigkeit.«
    »Tu mir einen Gefallen, und sag ihr das. Du hättest hören sollen, wie die beiden sich gestritten
haben. Die Hälfte der Kleinen dürfte davon aufgewacht sein.«
    »Sie ist nicht glücklich

Weitere Kostenlose Bücher