Cronin, Justin
»Warum
seid ihr drei nicht tot?«
Sie saßen an dem langen Tisch im Kontrollraum -
alle außer Finn und Rey, die sich bereits schlafen gelegt hatten. Peters
Adrenalinrausch war verflogen und der Schmerz im Knöchel zu einem dumpfen
Pochen geworden. Jemand hatte einen Brocken Eis von den Kondensatoren geschlagen,
und Peter hielt ihn sich jetzt, eingewickelt in einen durchfeuchteten Lappen,
auf das verstauchte Fußgelenk.
Die Tatsache, dass er soeben Zander Phillips
getötet hatte, einen Mann, den er gekannt hatte, weckte in ihm noch keine
Regung, für die er einen Namen gehabt hätte. Diese Erkenntnis war einfach so
seltsam, dass er sie nicht verarbeiten konnte. Zander hatte den Schlüssel um
den Hals getragen, und deshalb bestand kein Zweifel daran, dass er es war. Natürlich
hatte Peter keine Wahl gehabt. Der Mann war vollständig verwandelt gewesen.
Strenggenommen war der Viral, der da versucht hatte, durch die Luke
einzudringen, nicht mehr Zander Phillips gewesen. Dennoch wurde Peter das
Gefühl nicht los, kurz vor dem Abdrücken so etwas wie ein Wiedererkennen in den
Augen des Virais gesehen zu haben - oder gar Erleichterung.
Später fragte Theo Caleb ganz genau aus. Die
Geschichte des Jungen war ein wenig ungereimt, aber das konnte auch daran
liegen, dass er zu lange draußen unter freiem Himmel gewesen war. Seine Lippen
waren geschwollen und rissig, er hatte einen großen violetten Bluterguss an der
Stirn, und seine Füße waren zerschnitten. Der Verlust seiner Schuhe schien ihn
am meisten zu schmerzen. Es waren schwarze Nike Push-Offs gewesen, erzählte er,
nagelneu mit Karton aus dem Footlocker in der Mall. Bei seinem Sprint quer
durch das Tal hatte er sie irgendwie verloren, aber er hatte solche Angst
gehabt, dass er es kaum bemerkt hatte.
»Wir besorgen dir ein neues Paar«, versprach
Theo. »Aber jetzt erzähl mir von Zander.«
Caleb aß, während er redete. Er biss in seinen
Zwieback und spülte ihn mit großen Schlucken Wasser herunter. Alles sei ganz
normal gewesen, berichtete er, bis vor ungefähr sechs Tagen, als Zander
angefangen habe, sich ... sonderbar zu benehmen. Sehr sonderbar. Selbst für Zanders
Verhältnisse, und das wollte etwas heißen. Er wollte nicht mehr vor den Zaun
hinausgehen, und er schlief nicht mehr. Die ganze Nacht hindurch war er auf,
ging im Kontrollraum auf und ab und murmelte vor sich hin. Caleb hatte
angenommen, er sei einfach zu lange im Einsatz gewesen, und wenn die Ablösung
käme, würde er schon wieder zu sich kommen.
»Und dann verkündete er plötzlich, wir müssten
raus aufs Turbinenfeld, und ich soll den Karren holen und alles bereit machen.
Ich sitze da und esse meinen Lunch, und er kommt einfach reinmarschiert und
sagt: Los, mach schon. Er will einen Regler im westlichen Sektor auswechseln.
Okay, sage ich, aber ist das so dringend? Ist es nicht ein bisschen spät, um
noch rauszugehen? Er hatte so ein irres Glitzern im Blick, und er roch übel.
Ich meine, er stank. Alles
okay, frage ich, und er sagt, pack den Kram zusammen, wir gehen.«
»Wann war das?«
Caleb schluckte. »Vor drei Tagen.«
Theo beugte sich vor. »Ihr wart drei
Tage draußen?«
Caleb nickte. Er hatte seinen Zwieback
aufgegessen und machte sich mit den Fingern über einen Teller Sojabohnenpaste
her. »Wir ziehen also mit dem Maultier los, aber jetzt kommt's. Wir gehen nicht
zum westlichen Feld. Wir gehen zum östlichen Feld.
Da draußen funktioniert seit Jahren nichts mehr. Lauter tote Masten. Und man
braucht ewig, um da hinzukommen. Mindestens zwei Stunden mit dem Karren. Es ist
schon nach Halbtag, es wird also knapp. Ich sage: Zander, nach Westen geht's da
lang, Kumpel, was zum Teufel machen wir hier draußen? Willst du, dass wir umgebracht werden? Dann kommen wir zu dem Mast,
den er angeblich reparieren will, und das Ding ist Schrott. Komplett hinüber.
Das sehe ich schon von unten. Den Regler auszutauschen hat überhaupt keinen
Sinn. Aber das will er machen. Also schleppe ich meinen Arsch die Leiter rauf
und setze den Schlüssel an und fange an, das alte Gehäuse abzumontieren, und
ich arbeite, so schnell ich kann. Okay, denke ich, das leuchtet nicht ein, und
soweit ich es übersehe, riskieren wir hier unseren Hals wegen nichts. Aber
vielleicht weiß er was, was ich nicht weiß. Und da hörte ich den Schrei.«
»Zander hat geschrien?«
Caleb schüttelte den Kopf. »Das Maultier. Ich
mein's ernst - genauso hat es geklungen. So was habe ich noch nie gehört. Als
ich runterschaute,
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