Cronin, Justin
kippte es einfach um, ging zu Boden wie ein Sack Steine.
Hat 'ne Sekunde gedauert, bis ich begriffen habe, was ich da sah. Blut. Und
zwar eine Menge.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den fettigen Mund und
schob den leeren Teller zur Seite. »Zander hat immer gesagt, diese Sojapaste
schmeckt, wie wenn du einem am Sack lutschst. Ich so: Wann hast du denn mal
einem am Sack gelutscht, Zander? Als ob ich das wirklich wissen wollte.«
Theo seufzte ungeduldig. »Caleb, bitte. Das Blut
...«
Caleb trank einen großen Schluck Wasser. »Ja,
okay, also. Das Blut. Zander kniet bei der Stute, und ich schreie, hey, Zander,
was ist passiert? Einen Moment lang tut er gar nichts, er kauert am Boden neben
ihrem Kopf, und ich kann nicht sehen, was da los ist. Und als er aufsteht, sehe
ich, er ist nackt bis zum Gürtel, er hat ein Messer in der Hand, und er ist
voller Blut. Irgendwie habe ich die Zeichen übersehen, und ich denke, ich habe
ungefähr fünf Sekunden, bis er die Leiter zu mir raufkommt. Aber das tut er
nicht. Er setzt sich unten an den Mast, in den Schatten einer Strebe, wo ich
ihn nicht sehen kann. Zander, schreie ich zu ihm runter, hör zu. Du musst
dagegen ankämpfen. Ich bin ganz allein hier oben. Ich denke mir, wenn ich ihn
irgendwie ablenken kann, schaffe ich es vielleicht abzuhauen.«
»Das verstehe ich nicht.« Alicia runzelte die
Stirn. »Wann könnte er sich denn infiziert haben?«
»Das ist es ja«, sagte Caleb. »Das konnte ich
mir auch nicht erklären. Ich war ja Tag für Tag ungefähr jede Minute mit ihm
zusammen.
»Und nachts?«, fragte Theo. »Du sagst, er hat
nicht geschlafen. Vielleicht war er draußen.«
»Wäre möglich. Aber warum sollte er? Außerdem,
er sah eigentlich nicht verändert aus, abgesehen von dem Blut.«
»Was war mit seinen Augen?«
»Nichts. Keine Orangefärbung, soweit ich sehen
konnte. Ich sage euch, es war unheimlich. Ich
hocke also oben auf dem Mast, Zander ist unten, vielleicht befallen, vielleicht
nicht, aber so oder so wird es irgendwann dunkel. Zander, schreie ich, hör zu,
ich komme jetzt runter, egal wie. Ich bin nicht bewaffnet, ich habe nur den
Schraubenschlüssel, aber vielleicht kann ich ihm damit eins überbraten und
verschwinden. Und irgendwie muss ich ihm auch den Torschlüssel abnehmen. Von
der Leiter aus kann ich ihn nicht sehen, und als ich drei Meter über dem Boden
bin, denke ich, scheiß drauf, ich springe einfach. Ich habe nichts mehr zu
verlieren, tot bin ich sowieso. Ich lasse mich fallen, komme wieder hoch und
hole mit dem Schraubenschlüssel aus. Aber da ist er schon weg. Zander hat ihn
mir glatt aus der Hand gerissen, und er steht hinter mir. Und dann sagt er:
Steig wieder rauf.«
»Wieder rauf?« Das war Arlo.
Caleb nickte. »Kein Witz. Das hat er gesagt. Und
wenn er dabei war, rüberzuticken, konnte ich es immer noch nicht erkennen. Aber
er hat das Messer in der einen Hand, den Schraubenschlüssel in der andern, er
ist überall voll Blut, und ohne den Torschlüssel kann ich nicht zurück. Ich
frage ihn, was soll das heißen, steig wieder rauf? Und er sagt, oben auf dem
Mast bist du sicher. Also bin ich wieder raufgestiegen.« Caleb zuckte die
Achseln. »Und da oben habe ich drei Tage gesessen, bis ich euch auf der Straße
dort gesehen habe.«
Peter sah seinen Bruder an, aber Theo wusste
anscheinend auch nicht, was er von dieser seltsamen Geschichte halten sollte.
Was hatte Zander vorgehabt? War er schon befallen gewesen oder noch nicht? Es
war viele Jahre her - länger, als die Lebenden sich erinnern konnten -, dass
jemand das Anfangsstadium der Infektion mit eigenen Augen gesehen hatte. Doch
es gab jede Menge Geschichten, vor allem aus der Anfangszeit, aus der Zeit der
Walker, Geschichten über bizarres Verhalten. Nicht nur über den Blutdurst und
das spontane Entkleiden, das alle kannten. Seltsame Äußerungen, öffentliche
Reden, manische Wahnsinnstaten. Ein Walker, erzählte man sich, war ins
Lagerhaus eingebrochen und hatte sich dort regelrecht zu Tode gefressen. Ein
anderer hatte seine Kinder in ihrem Bett umgebracht und sich dann selbst
angezündet. Und ein Dritter hatte sich nackt ausgezogen, war vor den Augen der
Wache auf die Mauer hinaufgestiegen und hatte aus voller Lunge zuerst die
Gettysburgh Address - die in einem der Klassenzimmer in der Zuflucht an der
Wand hing - aufgesagt und dann fünfundzwanzig Strophen von »Row Row Row Your
Boat« gesungen, bevor er sich zwanzig Meter in die Tiefe stürzte. »Und die
Smokes?«,
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