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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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erkannt hatte - okay, Elton hatte es erkannt -, dass es alle neunzig
Minuten hereinkam, exakt 242 Sekunden anhielt und dann wieder verstummte.
    Darauf hätte er auch selbst kommen können.
Eigentlich gab es keine Entschuldigung.
    Und es wurde stärker. Stunde um Stunde, mit
jedem Zyklus, und besonders bei Nacht. Es war, als ob das verdammte Ding den
Berg heraufkäme. Er hatte aufgehört, nach etwas anderem zu suchen; er saß
einfach am Steuerpult, zählte die Minuten und wartete darauf, dass das Signal
wiederkam.
    Es war nichts Natürliches, nicht bei diesem
Neunzig-Minuten-Zyklus. Es war kein Satellit. Es kam nicht vom Stromspeicher.
Es war eine ganze Menge nicht. Aber
Michael wusste nicht, was es
war.
    Auch Elton war missmutig. Der »Ist-es-nicht-toll-wenn-man-blind-ist«-Elton,
an den Michael sich nach vielen Jahren im Lichthaus gewöhnt hatte - dieser Elton war nicht mehr da. Auf seinem Platz hockte ein
Miesepeter mit Schuppen auf den Schultern, der kaum Hallo sagte. Er klemmte
sich den Kopfhörer auf den Schädel, lauschte dem Signal, wenn es hereinkam,
schob die Lippen vor und schüttelte den Kopf, und dann erklärte er vielleicht
brummend, er brauche mehr Schlaf, als er bekomme. Es war ihm fast zu viel der
Mühe, bei der Zweiten Abendglocke die Natriumdampflampen zu zünden. Michael
hätte einen Dampfdruck aufbauen können, der genügte, um sie alle auf den Mond
zu schießen, und vermutlich hätte Elton kein Wort dazu gesagt.
    Ein Bad könnte er auch gebrauchen. Verdammt, das
könnten sie beide.
    Woran lag es? An Theos Tod? Nach der Rückkehr
der Versorgungseinheit hatte sich eine beklommene Stille über die ganze
Kolonie gelegt. Auf die Sache mit Zander konnte sich niemand einen Reim machen.
Wieso hatte er Caleb oben auf dem Propellermast ausgesetzt? Sanjay und die
andern hatten versucht, die Sache zu vertuschen, aber die Gerüchte verbreiteten
sich schnell. Sie hätten immer gewusst, sagten die Leute, dass dieser Kerl ein
bisschen schräg sei und dass die vielen Monate unten im Tal etwas mit seinem
Gehirn angestellt hätten: Seit der Geschichte mit seiner Frau und dem Baby, die
gestorben waren, habe irgendetwas mit ihm nicht mehr gestimmt.
    Und dann die Sache mit Sanjay. Michael hatte
keine Ahnung, was er davon halten sollte. Vor zwei Nächten hatte er am
Steuerpult gesessen, als plötzlich die Tür aufging und Sanjay hereinkam. Er war
stehen geblieben und hatte große Augen gemacht, die sagten: A-haaa! Michael hatte den Kopfhörer auf den Ohren gehabt, und sein
Verbrechen hätte offensichtlicher nicht sein können. Das war's, hatte er
gedacht, jetzt bin ich tot. Irgendwie hat Sanjay von dem Funkgerät erfahren,
und jetzt setzen sie mich todsicher vor die Mauer.
    Aber dann passierte etwas Komisches. Sanjay
sagte kein Wort. Er blieb einfach in der Tür stehen und schaute Michael an, und
als das Schweigen sich in die Länge zog, begriff Michael, dass sein
Gesichtsausdruck etwas anderes sagte als das, was er auf den ersten Blick
vermutet hatte: Es war nicht die rechtschaffene Empörung über ein Vergehen,
sondern eine beinahe tierhafte Fassungslosigkeit, das blanke Erstaunen über gar
nichts. Sanjay trug einen Schlafanzug, und er war barfuß. Sanjay wusste nicht,
wo er war. Sanjay schlafwandelte. Das taten viele Leute; manchmal war es, als
spaziere die halbe Kolonie in der Nacht herum. Es hatte etwas mit dem Licht zu
tun: Nie war es dunkel genug, um wirklich zur Ruhe zu kommen. Michael selbst
hatte es auch schon ein- oder zweimal erlebt. Einmal war er in der Küche
aufgewacht, wo er gerade dabei war, sich das Gesicht mit Honig zu beschmieren.
Aber Sanjay? Sanjay Patal, das Oberhaupt des Haushalts? Er schien kaum der Typ
dafür zu sein.
    Michaels Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er
musste Sanjay aus dem Lichthaus schaffen, ohne ihn zu wecken. Er bastelte noch
an verschiedenen Theorien - wenn er ihm doch nur ein bisschen Honig anbieten
könnte! -, als Sanjay plötzlich die Stirn runzelte, den Kopf schräg legte, als
müsse er ein fernes Geräusch verarbeiten, und in starrer Haltung an ihm
vorbeischlurfte.
    »Sanjay? Was hast du vor?«
    Vor dem Hauptschalter blieb Sanjay stehen. Seine
rechte Hand, die locker herabhing, fing an zu zucken.
    »Ich ... weiß nicht...«
    »Solltest du nicht ... ich weiß nicht, irgendwo
anders sein?«
    Sanjay antwortete nicht. Er hob die Hand, hielt
sie vor sein Gesicht und drehte sie langsam hin und her. Mit sprachloser
Verwunderung starrte er sie an, als wisse er nicht genau, wem

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