Cronin, Justin
sie Wasser auf. Der Kessel war
noch warm, und bald darauf war der Sud fertig. Er schimmerte leicht grünlich
wie Algen und roch bitter und erdig. Sie trug den Becher zum Krankenbett.
»Ich glaube, das wird helfen.«
Mar nickte und nahm ihr den Becher ab. Es
gehörte zu ihrem unausgesprochenen Einverständnis, dass Sara nur das Mittel
besorgte. Sie war Krankenschwester und durfte nichts weiter tun.
Mar starrte lange in den Becher. »Wie viel?«
»Alles, wenn es geht.«
Sara stellte sich ans Kopfende, um Gabe bei den
Schultern hochzuheben, und Mar hielt ihm den Becher an die Lippen und bat ihn,
zu trinken. Seine Augen waren geschlossen, und er schien gar nicht zu wissen,
dass sie da waren. Sara befürchtete, er werde es nicht schaffen, und sie hätten
zu lange gewartet. Aber dann nahm er einen ersten, zaghaften Schluck aus dem
Becher und dann noch einen. Er nippte gleichmäßig wie ein Vogel, der aus einer
Pfütze trank. Als er den Sud ausgetrunken hatte, ließ Sara seinen Kopf wieder
auf das Kissen sinken.
»Wie lange?« Mar sah sie nicht an.
»Nicht lange. Es geht schnell.«
»Und du bleibst hier. Bis es vorbei ist.«
Sara nickte.
»Jacob darf es nicht erfahren«, sagte Mar. »Er
würde es nicht verstehen.«
»Ich verspreche es dir«, sagte Sara. Und dann
warteten sie, nur sie beide.
Peter träumte von dem Mädchen. Sie waren unter
dem Karussell, in diesem niedrigen Gefängnis voller Staub, und das Mädchen lag
auf seinem Rücken und atmete ihm seinen Honigatem in den Nacken. Wer
bist du, dachte er, wer
bist du, aber die Worte blieben in seinem Mund stecken,
zusammengeknüllt wie ein wollener Lappen. Er war durstig, so durstig. Er
wollte sich umdrehen und ihre Augen sehen, aber er konnte sich nicht rühren,
und dann lag nicht mehr das Mädchen auf ihm, sondern ein Viral, der seine Zähne
in die Haut seines Halses bohrte, und er wollte nach seinem Bruder schreien,
doch kein Laut kam über seine Lippen, er begann zu sterben, und ein Teil seiner
selbst dachte, wie merkwürdig, ich bin noch nie gestorben. So ist das also.
Mit klopfendem Herzen wachte er auf, und der
Traum verflog sofort und hinterließ nichts als ein unbestimmtes, aber
durchdringendes Gefühl von Panik, den Nachhall eines Schreis. Einen Augenblick
lang lag er bewegungslos da und wartete, bis er sich in Raum und Zeit wieder
zurechtfand. Er verdrehte den Hals, um aus dem Fenster über seiner Pritsche zu
schauen, und sah das Licht der Scheinwerfer. Sein Mund war knochentrocken, und
seine Zunge fühlte sich geschwollen und faserig an. Er hatte geträumt, er sei
durstig, weil er es war. Er tastete nach der Wasserflasche auf dem Boden neben
seiner Pritsche, hob sie an den Mund und trank.
Caleb schlief in der Koje neben ihm. Peter
zählte noch vier andere Männer, schnarchende Klötze im Dunkeln. Alle waren
hereingekommen, ohne dass er aufgewacht war. Wie lange war es her, dass er so
fest geschlafen hatte?
Er lag im Dunkeln und spürte die ersten Regungen
der Nervosität, das dumpfe Vibrieren einer körperlichen Ungeduld, die seit der
Rückkehr auf den Berg in seiner Brust wohnte. Das Nächstliegende wäre gewesen,
sich wieder zum Dienst auf der Mauer zu melden. Doch Soo hatte ihm klar zu
verstehen gegeben, dass sie ihn erst in ein paar Tagen wieder bei der Wache
sehen wollte.
Er beschloss, Auntie zu besuchen. Er hatte ihr
noch nichts von Theo erzählt. Wahrscheinlich wusste sie es schon, aber er
wollte trotzdem, dass sie von ihm hörte, was passiert war, auch wenn er dabei
Bekanntes wiederholte.
Manchmal war es möglich, sie vollständig zu
vergessen, drüben in ihrem kleinen Haus auf der Lichtung. Ach, Auntie, sagten die Leute, wenn ihr Name erwähnt wurde, als falle
ihnen erst jetzt wieder ein, dass sie existierte. Und die Wahrheit war, dass
die alte Frau überraschend gut ohne Hilfe zurechtkam. Peter oder Theo hackten
manchmal Holz für sie oder erledigten kleine Reparaturen an ihrem Haus, und
Sara half ihr gelegentlich im Lagerhaus. Aber sie brauchte nicht viel, denn sie
hatte einen großen Gemüse- und Kräutergarten auf dem sonnigen Grundstück hinter
ihrem Haus, den sie ohne jede Unterstützung allein pflegte. Abgesehen von der
Gartenarbeit, die sie auf einem Schemel sitzend erledigte, verbrachte sie die
meiste Zeit im Haus zwischen ihren Papieren und Aufzeichnungen, und ihre
Gedanken durchstreiften die Vergangenheit. An einem Gewirr von Kordeln trug sie
drei verschiedene Brillen um den Hals, die sie abwechselnd aufsetzte,
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