Cronin, Justin
benutzt; sie hatten sie aufeinandergestellt, sich die
Schlingen um den Hals gelegt und die Kisten mit den Füßen weggestoßen. Einen
Augenblick lang standen Peter und Caleb nur da und starrten die beiden an. Es
war ein unfassliches Bild. »Leck ... mich«, sagte Caleb.
Alicia hatte recht, erkannte Peter in diesem
Moment. Sie mussten sofort verschwinden. Was immer hier im Gange sein mochte,
es war groß und furchtbar, eine Macht, die sie alle hinwegfegen würde.
Sie suchten sich ihre Ausrüstung zusammen und
gingen nach draußen. Dann fielen Peter die Landkarten ein.
»Lauf schon los«, sagte er zu Caleb. »Ich komme
gleich nach.«
Der Junge rannte davon. Peter machte sich nicht
die Mühe, an Aunties Tür zu klopfen; er trat ein und ging geradewegs ins
Schlafzimmer. Auntie schlief. Er blieb kurz in der Tür stehen und sah zu, wie
ihre Brust sich sanft hob und senkte. Die Karten waren da, wo er sie
zurückgelassen hatte, unter dem Bett. Er bückte sich, zog den Karton heraus
und schob ihn in seinen Rucksack.
»Peter?«
Er erstarrte. Aunties Augen waren immer noch
geschlossen, und ihre Hände lagen auf der Bettdecke.
»Ich ruhe mich nur ein bisschen aus.«
»Auntie ...«
»Keine Zeit für große Abschiedsworte«, sagte die
alte Frau feierlich. »Geh nur, Peter. Du bist jetzt in deiner eigenen Zeit.«
Als er bei der Mauer ankam, stiegen rosarote
Schleier im Osten herauf. Alle waren da. Alicia kletterte aus dem
Hauptleitungstunnel hervor und klopfte sich den Staub von den Kleidern. »Alles
bereit?«
Hinter ihnen waren Schritte zu hören. Peter fuhr
herum und zog sein Messer. Aber dann sah er, dass es Mausami Patal war, die aus
dem Gebüsch kam. Sie hatte eine Armbrust über die Schulter geschlungen und
trug einen Rucksack.
»Ich bin euch vom Lagerhaus aus gefolgt. Wir
müssen uns beeilen.«
»Maus ...«, begann Alicia.
»Spar dir deine Worte, Lish. Ich komme mit.«
Mausami sah Peter an. »Sag mir nur eins. Glaubst du, dein Bruder ist tot?«
Es war, als habe er nur darauf gewartet, dass
jemand ihm diese Frage stellte. »Nein.«
»Ich auch nicht.«
Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch. Es war eine
unbewusste Gebärde, und ihre Bedeutung war so unmissverständlich, dass es ihm
nicht wie eine Erkenntnis vorkam, sondern eher wie eine Erinnerung. Als habe er
es die ganze Zeit gewusst.
»Ich konnte es ihm nie sagen«, erklärte Mausami.
»Aber ich will, dass er es erfährt.«
Peter wandte sich an Alicia, die sie beide
entnervt musterte. »Sie kommt mit.«
»Peter, das ist keine gute Idee. Überleg dir
doch, wo wir hingehen.«
»Mausami gehört jetzt zur Familie. Schluss aus.«
Alicia schwieg. Anscheinend fehlten ihr die
Worte. »Zum Teufel damit«, sagte sie schließlich. »Wir haben keine Zeit zum
Streiten.«
Alicia ging als Erste und zeigte ihnen den Weg.
Sara folgte ihr, dann Michael, dann Caleb und schließlich Mausami. Nacheinander
stiegen sie in den Kabeltunnel, und Peter würde die Nachhut übernehmen.
Amy war die Letzte. Sie hatten ein T-Shirt, ein
Paar Hosen und Sandalen für sie gefunden. Sie ließ sich durch die Luke
herunter, und ihr Blick fand Peter mit plötzlicher, beschwörender Kraft. Wo gehen
wir hin?
Nach Colorado, dachte er. In die ZQZ. Es waren
nur Namen auf einer Landkarte, bunte Lichtpunkte auf Michaels Monitor. Die
Realität dahinter, die verborgene Welt, zu denen sie gehörten, war etwas Unvorstellbares
für Peter. Als sie am letzten Abend von einer solchen Reise gesprochen hatten -
war das wirklich erst gestern Abend gewesen, als sie zu viert im Lichthaus
zusammengehockt hatten? -, hatte Peter eine richtige Expedition vor Augen
gehabt: eine große, bewaffnete Einheit, Karren mit Vorräten und Material,
zumindest ein Spähtrupp, eine sorgsam geplante Route. Sein Vater hatte Monate
mit der Planung seiner Langen Ritte verbracht. Jetzt waren sie Flüchtlinge, die
zu Fuß davonhasteten, und sie hatten kaum mehr bei sich als einen Stapel alter
Landkarten und die Messer in ihren Gürteln. Welche Hoffnung hatten sie, an
einen solchen Ort zu gelangen?
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte er zu ihr.
»Aber ich glaube, wenn wir jetzt nicht gehen, werden wir alle hier sterben.«
Sie duckte sich und verschwand im Tunnel. Peter
zog die Riemen seines Rucksacks straff, stieg hinter ihr ein und schloss die
Luke über seinem Kopf. Es wurde finster. Die Wände waren kühl, und es roch
nach Erde. Der Tunnel war vor langer Zeit gegraben worden, vielleicht von den
Erbauern der Kolonie selbst,
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