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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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    »Welchen weiten Weg?«
    »Einen weiten Weg, Anthony.« Wolgast nickte
langsam. »Einen sehr, sehr weiten Weg.«
    Er schwieg und schaute Carter forschend ins
Gesicht. Der Mann hatte etwas an sich, das anders war als bei den andern.
Wolgast spürte, dass der richtige Augenblick gekommen war. Es war, als ob sich
eine Tür öffnete.
    »Anthony, was würden Sie davon halten, wenn ich
Ihnen sagte, ich kann Sie hier herausholen?«
    Carter musterte ihn skeptisch durch die
Trennscheibe. »Wie meinen Sie das?«
    »Wie ich es sage. Sofort. Noch heute. Sie
könnten Terrell verlassen und brauchten nie mehr zurückzukommen.«
    Carters Augen ertranken in Verwirrung. Der
Gedanke war zu viel und kam zu schnell. »Ich würde sagen, jetzt weiß ich, dass
Sie mich verarschen.«
    »Es ist aber nicht gelogen, Anthony. Deshalb
haben wir den weiten Weg hierher gemacht. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber
Sie sind ein besonderer Mensch, Anthony. Man könnte sagen, Sie sind
einzigartig.«
    »Sie reden davon, dass ich hier weggehen soll?«
Carter runzelte erbittert die Stirn. »Das kann nicht sein. Hab keine Berufung
gekriegt. Hat mir der Anwalt geschrieben.«
    »Keine Berufung, Anthony. Was Besseres. Sie
kommen einfach raus hier. Wie klingt das?«
    »Es klingt super.«
Carter lehnte sich zurück und lachte trotzig. »Es klingt zu gut, um wahr zu sein. Das hier ist Terrell.«
    Wolgast sah immer wieder mit Staunen, wie sehr
das Akzeptieren einer Strafumwandlung den fünf Phasen der Trauer ähnelte. Im
Moment war Carter in der Phase des Ableugnens. Die Vorstellung war einfach zu
viel für ihn.
    »Ich weiß, wo Sie sind. Ich kenne diesen Ort. Es
ist der Todestrakt, Anthony. Aber das ist nicht der Ort, an den Sie gehören.
Deshalb bin ich hier. Nicht für irgendjemanden. Nicht für diese anderen Männer.
Ihretwegen, Anthony.«
    Carters Haltung entspannte sich. »Ich bin nichts
Besonderes. Das weiß ich.«
    »Sind Sie doch. Vielleicht wissen Sie es nicht,
aber Sie sind es. Sehen Sie, ich möchte, dass Sie mir einen Gefallen tun.
Dieser Deal ist keine Einbahnstraße. Ich kann Sie hier herausholen, aber dafür
müssen Sie etwas für mich tun.«
    »Einen Gefallen, sagen Sie.«
    »Die Leute, für die ich arbeite, Anthony, haben
gesehen, was hier drin mit Ihnen passiert. Sie wissen, was im Juni passieren
wird, und sie halten es nicht für richtig. Sie halten es nicht für richtig,
wie man Sie behandelt hat - dass Ihr Anwalt Sie hier einfach im Stich gelassen
hat. Sie wollen etwas dagegen unternehmen und haben einen Job, für den sie Sie
stattdessen brauchen.«
    Carter zog verständnislos die Stirn kraus.
»Rasenmähen, meinen Sie? Wie bei der Lady?«
    Herrje, dachte Wolgast. Der Mann hatte allen
Ernstes geglaubt, er solle Rasen mähen. »Nein, Anthony. Das nicht. Etwas viel
Wichtigeres.« Wolgast senkte die Stimme. »Sehen Sie, das ist der springende
Punkt. Was ich von Ihnen will, ist so wichtig, dass ich es Ihnen nicht verraten
kann. Denn ich weiß es selbst nicht mal.«
    »Woher wissen Sie, dass es so wichtig ist, wenn
Sie nicht wissen, was es ist?«
    »Sie sind ein gescheiter Mann, Anthony, und Sie
haben mit dieser Frage absolut recht. Aber Sie werden mir vertrauen müssen.
Ich kann Sie hier herausholen, auf der Stelle. Sie müssen nur sagen, dass Sie
es wollen.«
    Dies war der Augenblick, da Wolgast den Umschlag
des Direktors aus der Tasche zog und öffnete. In diesem Moment fühlte er sich
immer wie ein Zauberer, der seinen Zylinder hob und ein Kaninchen präsentierte.
Mit der freien Hand drückte er das Dokument an die Scheibe, damit Carter es
sehen konnte.
    »Wissen Sie, was das ist? Das ist eine
Strafumwandlung, unterzeichnet von der Gouverneurin des Staates Texas, Jenna
Bush. Mit Datum von heute, ganz unten. Wissen Sie, was das ist, eine
Strafumwandlung?«
    Carter spähte mit schmalen Augen auf das Blatt.
»Ich krieg keine Spritze?«
    »Ganz recht, Anthony. Nicht im Juni, überhaupt
nicht.«
    Wolgast ließ das Blatt in seiner Jackentasche
verschwinden. Jetzt war es ein Köder, etwas Begehrenswertes. Er steckte es zu
dem anderen Dokument, das Carter würde unterschreiben müssen - das er unterschreiben würde, wenn das ganze Hin und
Her vorbei wäre, dessen war Wolgast sich sicher. Jenes Dokument, mit dem
Anthony Lloyd Carter, Strafgefangener 999642 des Staates Texas, einhundert
Prozent seiner irdischen Person dem Projekt NOAH übereignete. Wenn dieses
zweite Stück Papier das Tageslicht sähe, käme alles nur darauf an, dass

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