Cronin, Justin
anderen Seite des Traums. Einer der Zwölf. Babcock. »Was ... ist er?«
»Komm, du bist doch ein schlaues Kerlchen. Weißt
du es wirklich nicht?« Die Stimme schwieg erwartungsvoll. »Babcock ... bist
du.«
Ich bin Theo Jaxon, dachte
er und wiederholte diese Worte im Kopf wie ein Gebet. Ich
bin Theo Jaxon, ich bin Theo Jaxon. Sohn von Demetrius und Prudence Jaxon. Aus
Erster Familie stammend. Ich bin Theo Jaxon.
»Er ist du. Er ist ich. Er ist jeder hier in
dieser Gegend. Ich denke mir gern, er ist so was wie unser Gott. Nicht wie die
alten Götter. Ein neuer Gott. Ein Traum von Gott, den wir alle zusammen
träumen können. Sag es mit mir, Theo. Ich. Bin. Babcock.«
Ich bin Theo Jaxon. Ich bin Theo Jaxon. Ich bin
nicht in der Küche. Ich bin nicht in der Küche mit dem Messer.
»Sei still, sei still«, flehte er. »Was du da
redest, ergibt keinen Sinn.«
»Jetzt fängst du wieder an und suchst einen Sinn. Du musst loslassen, Theo.
Unsere Welt hier ergibt seit hundert verdammten Jahren keinen Sinn mehr. Bei
Babcock geht es nicht um Sinn. Babcock ist. Wir. Die Vielen.«
Die Worte fanden ihren Weg über Theos Lippen.
»Die Vielen.«
Die Stimme wurde sanfter. Sie schwebte auf
leisen Wellen durch die Tür und lockte ihn in den Schlaf. Einfach loslassen und
schlafen.
»Ganz recht, Theo. Die Vielen. Wir. Babcocks
Wir. Du musst es jetzt tun, Theo. Sei ein braver Junge, mach die Augen zu und
schlitz das alte Miststück auf.«
Er war müde, so müde. Es war, als schmelze er
von außen nach innen, als zerfließe sein Körper, als überwältige ihn nun dieses
übermächtige Verlangen, die Augen zu schließen und zu schlafen. Er wollte
weinen, aber er hatte keine Tränen. Er wollte betteln, aber er wusste nicht, worum.
Er versuchte, an Mausamis Gesicht zu denken. Aber seine Augen waren
geschlossen. Er hatte die Lider herabsinken lassen, und er fiel, fiel in diesen
Traum.
»Es ist nicht so schlimm, wie du glaubst. Am
Anfang gibt's eine kleine Rangelei. Das alte Mädel lässt sich nichts gefallen,
das muss man ihr lassen. Aber am Ende - du wirst schon sehen.«
Die Stimme war irgendwo über ihm und schwebte im
warmen gelben Licht der Küche auf ihn herab. Die Schublade, das Messer. Die
Hitze und der Geruch und der Druck in seiner Brust, das Schweigen, das seine
Kehle verstopfte, und die weiche Stelle an ihrem Hals, wo ihre Stimme die
Fettrollen wippen ließ. Ich sage dir, der Junge
ist nicht einfach blöd. Er ist mit Blödheit geschlagen.
Theo griff nach dem Messer.
Aber jetzt war eine neue Person in diesem Traum.
Ein kleines Mädchen. Sie saß am Tisch und hatte einen kleinen, weich
aussehenden Gegenstand auf dem Schoß. Ein Stofftier.
Das ist Peter, sagte sie mit ihrer
Kleinmädchenstimme, ohne ihn anzusehen. Er ist mein Hase.
Das ist nicht Peter. Ich kenne Peter.
Aber sie war kein kleines Mädchen, sie war eine
schöne Frau, groß und anmutig. Schwarze, geschwungene Locken umrahmten ihr
Gesicht wie zwei gewölbte Hände, und Theo war plötzlich nicht mehr in der
Küche. Er war in der Bibliothek, in diesem schrecklichen, nach Tod stinkenden
Lesesaal mit den Reihen der Pritschen unter den Fenstern und einer Kinderleiche
auf jeder Pritsche, und die Virais kamen, sie kamen die Treppe herauf.
Tu es nicht, sagte das Mädchen, das jetzt eine
Frau war. Der Küchentisch, an dem sie saß, war auf irgendeine Weise in die
Bibliothek gewandert, und Theo sah, dass sie überhaupt nicht schön war. An
ihrem Platz saß ein altes Weib, runzlig und zahnlos, mit gespenstisch weißem
Haar.
Töte sie nicht, Theo. Nein.
Er schreckte auf, und der Traum zerplatzte wie
eine Luftblase. »Ich ... tu's nicht.«
Die Stimme wurde zu einem Brüllen. »Verflucht, glaubst
du, das ist ein Spiel? Glaubst du, du kannst dir aussuchen, wie das hier
läuft?«
Theo sagte nichts. Warum brachten sie ihn nicht
einfach um?
»Na schön, Partner. Wie du willst«, sagte die
Stimme mit einem letzten, tiefen Seufzer. »Ich habe Neuigkeiten für dich. Du
bist nicht der einzige Gast in diesem Hotel. Ich glaube, was jetzt kommt, wird
dir nicht besonders gut gefallen.« Theo hörte das Scharren der Stiefel draußen
auf dem Boden, als der Mann sich zum Gehen wandte. »Ich habe mir mehr von dir
erhofft. Aber ich schätze, es ist egal. Denn wir werden sie kriegen, Theo. Maus
und Alicia und die andern. So oder so, wir werden sie alle kriegen.«
54
Es war Neumond, erkannte Peter, als sie sich
durch die Dunkelheit tasteten. Neumond, und keine
Weitere Kostenlose Bücher