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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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würde sie nicht wollen.«
    Sie warteten. Amy blieb jetzt immer bei Alicia
und wich nicht von ihrem Bett. Allen war klar, was im Gange war. Der kleinste
Lichtschimmer ließ sie zusammenzuckten, und sie hatte wieder angefangen, an
den Fesseln zu zerren.
    »Sie wehrt sich dagegen«, sagte Amy. »Aber ich
fürchte, sie schafft es nicht.«
    Es wurde dunkel, und Michael und Hollis kamen
nicht. Noch nie hatte Peter sich so hilflos gefühlt. Warum wirkte das Mittel
nicht, wie es bei Lacey gewirkt hatte? Aber er war kein Arzt, und sie konnten
alle nur mutmaßen, was zu tun war. Nach allem, was sie wussten, konnte die
zweite Dosis sie umbringen. Peter wusste, dass Greer ihn beobachtete und
darauf wartete, dass er etwas unternahm. Gleichwohl konnte er nichts tun.
    Im ersten Morgengrauen rüttelte Sara ihn wach.
Er war auf dem Stuhl eingeschlafen, und sein Kopf war auf die Brust gesunken.
»Ich glaube ... es passiert jetzt«, sagte sie.
    Alicia atmete sehr schnell. Ihr ganzer Körper
war angespannt, ihre Kiefermuskeln zuckten, und ein Zittern erfasste sie. Ein
dunkles, gequältes Stöhnen drang aus ihrer Kehle. Sie entspannte sich für
einen Moment, und dann ging es weiter. »Peter.«
    Er drehte sich um. Greer stand in der Tür und
hielt ein Messer in der Hand.
    »Es ist so weit.«
    Peter stand auf und stellte sich zwischen Greer
und das Bett mit Alicia. »Nein.«
    »Ich weiß, es ist hart. Aber sie ist Soldatin.
Mitglied der Expeditionstruppe. Es wird Zeit, dass sie die letzte Reise
antritt.«
    »Ich meinte: Nein, es ist nicht Ihre Aufgabe.«
Peter streckte die Hand aus. »Geben Sie mir das Messer, Major.«
    Greer zögerte und sah Peter forschend an. »Sie
müssen das nicht tun.«
    »Doch, ich muss.« Er empfand keine Angst. Nur
Resignation. »Ich habe es ihr versprochen. Ich bin der Einzige, der es tun
kann.«
    Greer gab ihm das Messer. Gewicht und Balance
fühlten sich vertraut an: Peter sah, dass es sein eigenes Messer war, das er am
Tor bei Eustace zurückgelassen hatte.
    »Ich möchte gern mit ihr allein sein, wenn ich
darf.«
    Die andern verabschiedeten sich. Peter hörte,
wie die Haustür sich öffnete und wieder schloss. Er ging zum Fenster und riss
eins der Bretter herunter. Das weiche graue Licht des Morgens erfüllte das
Zimmer. Alicia stöhnte und wandte den Kopf zur Seite. Greer hatte recht.
Vermutlich durfte er sich nicht viel Zeit lassen. Er dachte an das, was Muncey
am Ende gesagt hatte: dass es einen sehr schnell packte. Und dass er fühlen
wollte, wie es aus ihm hinauslief.
    Peter setzte sich mit dem Messer in der Hand auf
die Bettkante. Er wollte etwas zu Alicia sagen, aber Worte waren zu klein für
das, was er fühlte. Einen stillen Augenblick lang saß er so da und überließ
sich den Gedanken an sie. Gedanken an das, was sie getan und gesagt hatten und
was immer noch unausgesprochen zwischen ihnen lag. Er wusste nicht, was er
sonst tun sollte.
    Einen ganzen Tag lang hätte er so sitzen bleiben
können, ein Jahr lang, hundert Jahre. Aber er wusste, er durfte nicht länger
warten. Er stieg zu ihr auf das Bett und kniete rittlings über ihrer Taille. Er
packte das Messer mit beiden Händen und drückte die Spitze an den Ansatz ihres
Brustbeins, auf den Sweetspot. Er fühlte, wie sein Leben sich in zwei Hälften
teilte - in das, was bisher passiert war, und all das, was nachher kommen
würde. Sie bäumte sich unter ihm auf, und ihr ganzer Körper wehrte sich gegen
die Fesseln. Seine Hände zitterten, und seine Augen schwammen in Tränen.
    »Es tut mir leid, Lish«, sagte er, und dann
schloss er die Augen und hob das Messer. Er musste alle seine Kräfte
zusammennehmen, bevor er den Willen aufbrachte, zuzustoßen.
     
    70
     
    Es war Frühling, und das Baby kam.
    Maus hatte schon seit Tagen Wehen. Sie putzte
die Küche oder lag im Bett oder sah zu, wie Theo im Garten arbeitete, und
plötzlich spürte sie es: eine jähe Anspannung quer über den Leib, bei der ihr
der Atem stockte. Ist es so weit?, fragte Theo dann. Kommt es? Kommt das Baby?
Dann schaute sie einen Moment lang zur Seite und legte den Kopf schräg, als
lausche sie auf ein fernes Geräusch. Wenn sie ihn dann wieder ansah, lächelte
sie beruhigend. Da. Siehst du? Es war nichts. Nur diese eine. Alles in Ordnung.
Geh wieder an deine Arbeit, Theo.
    Aber jetzt war doch etwas. Es war mitten in der
Nacht. Theo träumte, einen einfachen, glücklichen Traum vom Sonnenschein auf
einem goldenen Feld, als er Maus' Stimme hörte. Sie rief seinen Namen. Auch
sie

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