Crossfire 1: Kontakt
es
tatsächlich das bestmögliche war, oder daran, dass Scherers
unbeugsame Selbstgefälligkeit allmählich jedermann auf die
Nerven ging? Hoffentlich nicht Letzteres. Hoffentlich ließen
sich alle von der Vernunft leiten.
Sie musterte Liu Fengmo. Von allen Gruppen auf Greentrees
bereiteten die Chinesen die wenigsten Schwierigkeiten. Es gab nur
fünfhundertdreiundneunzig von ihnen, und sie stammten alle aus
demselben Viertel von Redlands, Kalifornien, UAF. Etwa die
Hälfte von ihnen war erst kurz vor dem Start der Ariel aus China eingewandert, indem sie irgendein Schlupfloch in den
sich ständig ändernden Beziehungen zwischen den beiden
Ländern ausgenutzt hatten.
Die ökologischen Katastrophen auf der Erde hatten China
übel getroffen: extreme Wetterbedingungen, globale
Erwärmung und die unterschiedlichsten biologischen Katastrophen.
Lius Leute, sowohl die aus China wie auch die in der UAF geborenen,
waren die Art Mensch, die durch Unauffälligkeit überlebte.
Unterwürfig und beinahe unsichtbar nutzten sie die Nischen des
städtischen Lebens. Sie waren daran gewohnt, so gut wie nichts
zu besitzen.
Greentrees wirkte auf sie wie ein Paradies, und Liu hatte ihnen
die Pforte dorthin geöffnet. Sie achteten ihn daher nicht nur
als menschenfreundlichen Patriarchen, sondern verehrten ihn viel mehr
als kleine Gottheit. Sie waren ihm nach Mira City gefolgt, ohne
Fragen zu stellen, ein höfliches und stilles Gefolge, das hart
arbeitete und sich wenig Vergnügen gönnte, zumindest in der
Öffentlichkeit. Gail bekam außerhalb der Arbeitszeiten
selten einen chinesischen Erwachsenen zu Gesicht. Sie blieben unter
ihresgleichen, in ihren kleinen, hässlichen Zelten. Selbst ihre
Kinder waren still und zurückhaltend.
Die Geschichte legte nahe, dass die nächste Generation ganz
anders sein würde – behauptete zumindest Jake. Gail machte
sich keine Gedanken um die nächste Generation: Ihr Interesse lag
im Hier und Jetzt.
»Nan Frayne sollte ebenfalls beim Funkfeuer sein, Jake«,
sagte George. »Sie ist die Einzige, die sich überhaupt
schon mal mit irgendwelchen Pelzlingen verständigt hat. Und um
die scheint es ja zu gehen.«
Jake rieb sich mit einer Hand durchs Gesicht. Er muss sehr viel
beunruhigter sein, als es nach außen hin wirkt, dachte
Gail. »Wie sehr haben die Cheyenne ihr zugesetzt, Dr. Shipley?
Kann sie reisen?«
»Das sollte sie nicht«, erklärte Nans Vater ruhig.
»Sie hat Prellungen, leichtere Schnittwunden, ein Vorderzahn ist
ihr ausgeschlagen worden, und sie ist völlig erschöpft.
Außerdem ist sie immer noch… erregbar.«
Gail musterte ihn eindringlich und suchte nach Anzeichen für
eine ironische Untertreibung. Sie fand keine.
»Ich stimme dem zu«, sagte Jake, und Gail hörte die
Erleichterung in seiner Stimme. Nan war stets ein unberechenbarer
Faktor. Davon gab es bereits zu viele. »Außerdem hat sie
noch nicht viel von der Sprache der Pelzlinge gelernt. Was sie
allerdings in Erfahrung bringen konnte, ist die Tatsache, dass die
beiden Populationen unterschiedliche Sprachen verwenden. Also haben
die Raumfahrer möglicherweise wieder eine andere Sprache, es sei
denn…« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Gail hegte den
Verdacht, dass Jake gar kein schlüssiges Ende parat hatte.
Letztendlich wurde entschieden, dass William Shipley und George
Fox am Funkfeuer zugegen sein sollten, wenn die Außerirdischen
– wenn es welche waren – dort landeten. Die Begegnung
– wenn es zu einer Begegnung kommen würde – sollte von
den anderen von Mira City aus überwacht werden. Der Angriff
– wenn es einen Angriff geben würde – sollte von einem
Soldaten aus Hauptmann Scherers Truppe abgewehrt werden, der das
Begrüßungskomitee begleiten würde. Die Erkundung der Ariel durch die Außerirdischen – wenn die
Außerirdischen die Ariel erkunden würden…
Gail gab auf. Es gab zu viele Unwägbarkeiten. Nein, das war
es nicht wirklich. Sie war einfach zu angespannt.
Sie begab sich daran, in beruhigenden Worten eine Bekanntmachung
aufzusetzen, um die Bewohner von Mira City davon in Kenntnis zu
setzen, dass sie Besuch erwarteten.
12. KAPITEL
Er hatte den Verwaltungsrat von Mira City angelogen. Nein, nicht
angelogen: Er hatte nur einen Teil der Wahrheit ausgelassen. Es war
ihm unmöglich, es ihnen zu erklären, unmöglich, dass
sie es jetzt schon verstanden.
Shipley saß im Wohnzimmer seines neuen Hauses, mit gesenktem
Kopf und die Hände auf die Knie gelegt. Dieses Zimmer diente in
erster
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