Crossfire 1: Kontakt
von
anderen, älteren, körpereigenen Drogen aufgepeitscht.
»Und sie vereinen das Beste einer Jäger-Sammler-Kultur
mit Ackerbau. Lucy, sie sind so viel fortschrittlicher als die
gleichgültigen Pelzlinge, die wir zuerst entdeckt haben. Du
würdest es nicht glauben! Sie fertigen Schmuck. Tief in den
Wäldern haben sie einen riesigen Stein, und daraus schlagen sie
das Abbild eines Gottes – zumindest glaube ich, dass es ein Gott
ist. Und sie gewinnen Öl aus diesen kleinen bläulichen
Beeren, und sie bewahren es in Tonkrügen auf. Meine
früheren Pelzlinge konnten nichts dergleichen.«
Meine früheren Pelzlinge…
Nachdenklich stellte Lucy fest: »Die beiden Gruppen hatten
vielleicht tausend Jahre Zeit, eine unterschiedliche Kultur zu
entwickeln. Die ursprünglichen Siedler in Polynesien brauchten
nur wenige Jahrhunderte, um auf verschiedenen Inseln Gesellschaften
von unterschiedlichen Entwicklungsstadien auszubilden. Tonga hatte
eine hoch entwickelte Kunst, Waffen und eine Gesellschaftsstruktur.
Chatham kam nicht weiter als bis zu einfachen Keulen. Aber, Nan, das
lag an den unterschiedlichen Bedingungen auf den verschiedenen Inseln
– Mineralien, Nahrungsmittelangebot und Fruchtbarkeit des
Bodens. Den beiden Gruppen der Pelzlinge, bei denen du gelebt hast,
standen genau die gleichen Ressourcen zur Verfügung.«
»Außer«, warf Naomi aufgeregt ein, »dass die
gleichgültigen Pelzlinge George Fox’ Gehirnvirus
haben.«
»Vielleicht«, räumte Lucy ein. »Aber wenn es
ein Virus ist, der schon sehr früh aufgetreten ist, dann
müsste der Stamm inzwischen ausgestorben sein, wenn man bedenkt,
dass diese Pelzlinge ja kaum für sich sorgen können. Hat
sich der Virus allerdings erst vor kurzem ausgebreitet, müssten
Kunst, Ackerbau und Werkzeuge dieses Stammes ausgeprägter sein.
Das alles passt immer noch nicht zusammen.«
»Womöglich«, warf Gail ein, »wird der Virus
immer schlimmer.«
Verächtlich sagte Naomi: »Was weißt du schon
davon?«
»Mehr als du denkst«, erwiderte Gail. Shipley hielt den
Atem an. Würde sie Naomi von den neuen Außerirdischen
erzählen? Aber nein, Gail neigte nicht dazu, derart die
Beherrschung zu verlieren. Sie fragte Lucy: »Hast du ihr schon
von dieser dritten Population von Pelzlingen erzählt? Von
denjenigen, die scheinbar ständig von dieser einheimischen
Pflanze berauscht sind?«
»Noch nicht«, sagte Lucy. »Nan, versuch nicht, dich
aufzusetzen! Dein Vater hat gesagt, du sollst liegen
bleiben!«
»Drauf geschissen! Was für dritte Pelzlinge?«
»Ich habe dir Bilder mitgebracht«, sagte Gail.
Es folgte langes Schweigen. Shipley erhob sich und ging zur
offenen Tür des Schlafzimmers. Naomi hatte sich im Bett
aufgesetzt und besah sich aufmerksam die Ausdrucke. Schließlich
hob sie den Kopf und blickte Gail an. Zwischen den beiden Frauen
wurde etwas ausgetauscht, was Shipley nicht verstand, irgendein
eindringlicher Blickwechsel, der Gail schließlich veranlasste
zu sprechen.
»Und rede nie wieder in diesem Ton mit mir, Nan.«
Und unglaublicherweise antwortete Naomi sanft: »Das werde ich
nicht. Es tut mir Leid.«
Shipley fühlte sich benommen. Was war da gerade
geschehen?
Er sah wieder Naomi vor sich, wie sie kurz nach ihrer Rettung im
Gleiter saß, schmutzig und zerschlagen und schlafend in Gails
Arm. Trotz des erstickenden Körpergeruchs hatte die ältere
Frau Naomi schützend im Arm gehalten. Bei Shipleys Blick hatte
Gail aufgeschaut, und in ihren Augen hatte er ein verwirrtes Staunen
erkannt.
Nun konnte sie den Blick nicht mehr von Naomi wenden. Ein langer
Moment dehnte sich aus, straff gespannt wie eine Klaviersaite. Zu
Shipleys Verwunderung lächelte Naomi plötzlich, so ehrlich
und freundlich, dass es kaum zum Gesicht seiner Tochter passen
wollte. Wann hatte er Naomi zuletzt so lächeln sehen? Er hatte
Naomi noch nie solächeln sehen.
»Ich habe gerade eine Entscheidung getroffen, Nan«,
sagte Gail. »Es gibt da etwas, was wir dir nicht sagen wollten.
Aber ich glaube jetzt, das wäre falsch. Du hast das Recht, es zu
wissen, und vielleicht brauchen wir dich. Nicht sofort, aber
irgendwann später. Wir brauchen möglicherweise deine
Fähigkeit, dich mit den Pelzlingen zu verständigen.
Ein außerirdisches Schiff ist unterwegs nach Greentrees. Es
wird in weniger als achtundvierzig Stunden hier eintreffen.«
Kurz bevor der Gleiter zum Funkfeuer startete, versuchte Hauptmann
Scherer ein letztes Mal, den Plan noch zu ändern: »Es ist
nicht richtig«,
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