Crossfire 1: Kontakt
Augenblick, als
Müller seinen befehlshabenden Offizier erschossen hatte. Naja,
Shipleys Wirkstoffpflaster waren schuld. »Gefreiter
Müller… Franz… Wollen Sie nicht lieber warten, bis
Leutnant Wortz ein korrektes militärisches Begräbnis
ausrichten kann?«
Müllers Blick verfinsterte sich. »Es gibt kein
militärisches Begräbnis für Verräter.«
Natürlich. Scherer und Halberg hatten sich beide über
Jakes Befehle hinweggesetzt. Meine Güte, wenn man seine
Überzeugungen bedachte, musste dieser Mann im Augenblick
Furchtbares durchmachen. Sanft sagte sie: »Warten Sie hier. Ich
hole die anderen.«
Shipley schlief noch nicht. »Kann ich Sie fünf Minuten
stören, Doktor?« Er stemmte seinen massigen Körper von
der Matratze hoch. Gail holte Ingrid, George und Karim herbei.
»Wo ist Jake?«
»Er wollte noch einmal um das außerirdische Raumboot
herumgehen«, sagte George, »und schauen, ob es etwas zu
entdecken gibt.«
»Allein? Das hast du zugelassen?«
»Wie hätte ich ihn davon abbringen sollen?«, wollte
George wissen.
Gail beachtete seinen Einwand nicht. »George, kommst du damit
klar? Mit der Beerdigung von Leutnant Halberg, meine ich?«
Georges Antwort war ebenso zutreffend wie nichts sagend:
»Nichts, was wir hier tun, ist so wie früher.«
Gail nickte und machte sich auf die Suche nach Jake.
Es war das erste Mal, dass sie sich dem Beiboot der
Außerirdischen näherte. Der Anblick ließ sie
plötzlich frösteln. Was trieben sie da drin, diese
Pflanzendinger? Trauerten sie um ihren gefallenen Kameraden? Gail
scheute davor zurück, das zerstörte Gefährt und den
toten Außerirdischen daneben anzusehen.
Sie fand Jake auf der abgewandten Seite des Bootes, etwa drei
Meter davon entfernt, außer Reichweite des Scheinwerferkegels.
In der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht
erkennen.
»Jake, es ist nicht sicher hier. Komm zurück. Shipley
wird eine kurze Andacht an Halbergs Grab abhalten. Ich weiß,
ich weiß – das ist kaum der rechte Zeitpunkt dafür.
Aber Müller ist innerlich so zerrissen, dass ich dachte, ein
kurzes Gebet von Shipley tröstet ihn vielleicht ein
wenig.«
Jake antwortete nicht.
»Jake? Alles in Ordnung mit dir?«
»Wie definierst du unter den gegebenen Umständen
›alles in Ordnung‹, Gail?«
Seine Teilnahmslosigkeit verärgerte sie. »Wer weiß
das schon! Ich nicht. Aber wenn George mit der Situation fertig wird,
kannst du es auch. Immerhin hast du niemanden getötet. Ich
versuche einfach nur, das zu tun, was für die Leute hier am
Besten ist. Und in diesem Augenblick bedeutet das, ein verdammtes
Begräbnis für Halberg auszurichten.«
»Eine dumme Idee, meiner Meinung nach. Soll Wortz sich drum
kümmern.«
»Müller glaubt nicht, dass sie das tun wird. Seiner
Ansicht nach ist Halberg des Verrats schuldig. Genau wie Scherer. Sie
haben eine unmittelbare Order ihres Befehlshabers missachtet –
und der bist du!«
Das riss ihn aus seiner Lethargie. »Ich bin kein
Befehlshaber, um Gottes willen! Ich bin ein ehemaliger Anwalt, der
erst Weltraumunternehmer wurde und dann Siedler!«
»Die Schweizer sehen das anders. Und jetzt schaff deinen
Arsch da rüber, Jake. Wir brauchen dich!«
Er trat vor, und sie sah, wie mitgenommen er wirkte. »Jake
– was ist los?«
»Gar nichts. Lass uns dieses Begräbnis hinter uns
bringen.« Er schob sich an ihr vorbei, und sie musste um das
reglose Beiboot herum hinter ihm herlaufen.
Shipley stand so lange mit gesenktem Haupt an Halbergs Grab, dass
Gail schon Bedenken kamen. Pflegten Quäker nicht die Stille
Andacht? Würde Shipley überhaupt etwas sagen?
Sie stand bei George Fox, der recht gefasst wirkte, bedachte man
die Umstände. Sie befanden sich weit genug vom Grab entfernt, um
am Bunker vorbei das Beiboot der Außerirdischen im Blick zu
haben. Die anderen standen dichter um den frisch aufgeworfenen
Erdhügel. Jemand hatte einen Strauß wild wachsender Blumen
zusammengestellt und auf dem Grabhügel gelegt. Müller?
Anscheinend waren selbst diese distanzierten Soldaten, diese
Erneuerten, gegen sentimentale Anwandlungen nicht gefeit. Das
hätte Gail nicht erwartet.
Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach persönlichen
Erinnerungen an den Toten. Aber Erik Halberg war stets so
verschlossen gewesen, so korrekt und förmlich, dass ihr nichts
einfallen wollte. Sie hatte ihn überhaupt nicht gekannt.
Schließlich sprach Shipley: »Wir wissen, dass Gott nur
so viel von uns verlangt, wie ein normales menschliches Wesen
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