Crossfire 2: Feuerprobe
die
Blumen niedergetrampelt und Bänke umgekippt worden. Es gab wenig
wirklichen Müll, denn Mira City recycelte alles, was
möglich war. Flaschen, Dosen und Papier waren zu kostbar, um sie
zu verschwenden. Aber mehrere Kleidungsstücke lagen auf dem
Boden: War das etwa ein Haufen Stolen dort bei dem Teich? Siddalee
würde sich tagelang aufregen.
»Stimmt sonst noch etwas nicht?«, fragte Ashraf. Er
erwartete immer das Schlimmste. Diesmal hatte er Recht.
»Allerdings«, erklärte Alex. »Während ich
eigentlich eine Rede halten sollte, war ich bei den gentechnischen
Laboratorien.
Lau-Wah, vier dieser rebellierenden Jugendlichen aus Hope of
Heaven sind dort eingebrochen und haben einen Löwen aus dem
Käfig befreit. Er bedrohte vier Labortechniker, ebenfalls
Chinesen. Sie…«
»Yat-Shing Wong?«, fragte Lau-Wah mit ausdruckslosem
Gesicht.
»Ja.« Also wusste Lau-Wah bereits Bescheid. Zumindest
wusste er irgendetwas.
»Wer ist das?«, warf Ashraf ängstlich ein.
»Ein irregeleiteter Idealist«, sagte Lau-Wah. »Gab
es Tote?«
»Nein, denn… denn…«
»Setzen Sie sich erst mal, Alex. Möchten Sie ein Glas
Wasser?«
»Es geht mir gut. Es ist nur etwas viel für einen
einzigen Tag.« Ein Schiff von der Erde, die ursprünglichen
Befürchtungen, dass es ein Schiff der Pelzlinge sein konnte, der
Hass in den Laboratorien, ein Hass, wie Alex ihn in Mira nie für
möglich gehalten hätte. Und dann die lang gezogene,
schlanke blauviolette Gestalt des springenden Löwen, das
Mädchen mit den beringten Händen vor dem Gesicht, der
Speer, wie er durch die Luft flog und den Löwen mitten im Sprung
erwischte. Der außerirdische Pelzling, gestützt auf seinen
kräftigen Schwanz. Nan Frayne, wie sie mit beiläufiger
Brutalität den Jungen an diesen Stab fesselte, mit einem
vermeintlichen Feind der ganzen Menschheit an ihrer Seite.
»Erzählen Sie uns alles von Anfang an«, bat Lau-Wah
mit einer Reserviertheit, die sie wieder beruhigte. Sie hasste es,
Schwäche zu zeigen.
Als sie geendet hatte, wollte Ashraf wissen: »Wo sind diese
Jugendlichen jetzt?«
»Ich habe alle acht in Guy Davenports Obhut gegeben, damit
wir in der Zwischenzeit entscheiden konnten, was wir der
Öffentlichkeit über das Schiff erzählen. Sie haben
gehört, wie mir Nan Frayne die Botschaft überbrachte.
Ashraf, haben Sie ihr erlaubt, einen Pelzling zu der Feier
mitzubringen?«
»Sie hat nicht gefragt. Und ich habe nicht damit
gerechnet.«
Alex brachte ein Lächeln zu Stande. »Nun, das hätte
wohl niemand.«
»Hat der Pelzling Mira wieder verlassen?«, fragte
Lau-Wah.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Ashraf Shanti.
»Wie gesagt, ich wusste nicht mal, dass er überhaupt hier
war.«
»Ich hoffe mal, Nan Frayne ist mitsamt diesem Pelzling wieder
in der Wildnis verschwunden«, sagte Alex, »bevor noch
jemand aus der Gesandtschaft der Cheyenne etwas von der Sache
mitbekommt.«
»Ich bin froh«, stellte Ashraf Shanti mit
überraschender Heftigkeit fest, »dass es ein solches
Ereignis nur alle fünfzig Jahre gibt.«
Unwillkürlich lachte Alex auf. Lau-Wah aber blieb ernst.
»Ich schlage vor, wir sagen Sicherheitschef Davenport, dass er
die Labortechniker freilassen soll. Inzwischen haben wir über
MiraNet die Ankunft der Feuerprobe öffentlich gemacht.
Ich hätte gern die Erlaubnis, mit Yat-Shing Wong unter vier
Augen zu sprechen.«
»Er heißt jetzt Wong Yat-Shing«, bemerkte Alex.
»Er sagt, in Hope of Heaven hätten sie inzwischen die
›unverfälschte chinesische Tradition‹ wieder
eingeführt.«
Lau-Wah nickte ausdruckslos.
»Gewiss, Lau-Wah«, sagte Ashraf Shanti. »Sie
können allein mit Mr Wong sprechen, wenn Sie es für
sinnvoll halten. Was wollen diese jungen Leute? Niemand in Mira ist
arm oder unterdrückt!«
»Nein«, erwiderte Lau-Wah, »das ist wohl nicht das
Problem.«
»Was sonst?«, fragte Ashraf. Alex hielt den Atem an und
wartete auf die Antwort.
»Ich glaube, sie würden gern unterdrückt sein, um
einen Grund für ihre Wut zu haben«, erklärte Lau-Wah
mit ruhiger Stimme.
Ashraf Shanti wirkte ernsthaft überrascht. »Aber warum
sind sie überhaupt wütend?«
Lau-Wah Mah antwortete nicht. Schweigen herrschte, bis Alex
schließlich sagte: »Weil sie das Gefühl haben, ganz
unten zu stehen, nicht wahr? Ich verstehe nur nicht, warum. Tut mir
Leid, Lau-Wah, aber ich verstehe es einfach nicht. Wir haben hier so
viel, genug für jeden. Es gibt eigentlich gar kein
›Unten‹ in Mira.«
»Es gibt immer ein ›Unten‹. Es
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