Crossfire 2: Feuerprobe
an
geschlossenen Türen vorbei; an manchen von ihnen waren Schilder
angebracht mit der Aufschrift »Zutritt verboten«. Am Ende
des Flurs stand die Tür zur Versuchstierhaltung offen. Im
Inneren polterte etwas, und plötzlich vibrierte die Luft vor
lautem Kreischen.
Sie stürmte vor. »Hört auf! Was treibt ihr da?
Meine Güte, ihr könnt doch nicht…« Abrupt hielt
sie inne.
Zwei Gruppen chinesischer Jugendlicher standen einander zwischen
den Käfigen gegenüber. Ein Teil des Lärms kam von
einem Paar so genannter »Löwen«, einem der wenigen
Raubtiere auf Greentrees, die Menschen gefährlich werden
konnten. Diese Baumbewohner hatten die lang gezogenen geschmeidigen
Leiber von Katzen, aber tentakelartige Vorderbeine und einen
kräftigen Greifschwanz, mit dem sie sich an Ästen
festhalten konnten. Wie so vieles andere auf Greentrees zeigte ihre
Haut einen blauvioletten Farbton. Die Genetiker versuchten es seit
einiger Zeit so hinzukriegen, dass die Löwen weniger aggressiv
waren, ohne ihren Platz in der natürlichen Nahrungskette von
Greentrees zu gefährden. Bislang ohne Erfolg.
Das Weibchen des Versuchspaares brüllte in ihrem Käfig.
Das Männchen stand in der Mitte des Raums vor einer
unbewaffneten Gruppe von Jugendlichen, die sich an einer Seitenwand
eng zusammendrängte. Das Tier fletschte drohend die
Zähne.
»Verschwinde von hier, Alexandra Cutler!«, rief einer
aus der anderen Gruppe. Diese stand dicht bei der Tür, durch die
Alex gerade hereingestürmt war. Ihr Anführer war mit einer
Laserpistole bewaffnet, die er gar nicht hätte besitzen
dürfen.
Sie zwang sich zur Ruhe. »Sie sind Yat-Shing Wong, nicht
wahr?«
»Wong Yat-Shing«, erwiderte der Junge spöttisch.
»Wir in Hope of Heaven sind mit unseren Namen zur
unverfälschten chinesischen Tradition
zurückgekehrt.«
Hope of Heaven. Alex wurde das Herz schwer. Hope of Heaven war die
abtrünnige Siedlung, die knapp zwanzig Kilometer
flussabwärts von Mira City gegründet worden war. Also war
das hier eine Auseinandersetzung zwischen den jugendlichen Chinesen
von Hope of Heaven und denen von Mira. Alex konnte sich nichts
Dümmeres vorstellen – und kaum etwas Gefährlicheres.
Der Löwe knurrte leise und drohend.
»Mr Wong, Sie wollen doch nicht, dass jemand zu Schaden
kommt.«
Wong lächelte nur.
»Miss Cutler, er kommt näher!«, rief eines der
Mädchen der anderen Gruppe; sie trug eine knappe rote Stola.
Alex überlegte, ob er ihr gelingen könnte, Wong die Waffe
zu entreißen, um das Tier zu erschießen, doch ihre
Chancen standen nicht besonders gut.
»Bleib ruhig!«, rief Alex dem Mädchen zu.
»Yat-Shing, Sie wollen doch nicht, dass man Sie des Mordes
anklagt. Ich weiß, dass Sie das nicht wollen.«
Wong knurrte: »Sie wissen nichts darüber, was wir in
Hope of Heaven wollen!«
Der Löwe setzte zum Sprung an.
Das Mädchen in der roten Stola schrie. Die drei anderen, die
bei ihr gestanden hatten, rannten auf die Tür zu. Einer von
ihnen stolperte und fiel direkt vor dem Löwen der Länge
nach hin. Alex griff nach Wongs Waffe, wurde von dem jungen Chinesen
aber mühelos zur Seite gestoßen. Noch während sie
stürzte, sah sie mit unnatürlicher Klarheit, was weiterhin
geschah:
Das Mädchen in der roten Stola schlug die Hände vors
Gesicht – lange, schlanke Hände mit Ringen an jedem kleinen
Finger.
Der gestürzte Junge hob den Kopf, gerade als der Löwe
mit einem Satz über ihn hinweg auf das Mädchen
zustürzte. Er blickte verwirrt auf den Bauch des Tieres.
Ein Speer sauste in einem Bogen durch die Luft und erwischte den
Löwen mitten im Sprung. Das Tier erbebte und fiel vor dem
Mädchen zu Boden. Das ungeschützte weiche Gewebe seines
Riechorgans war an der rechten Seite durchbohrt worden und der Speer
tief ins Gehirn des Löwen gedrungen.
Ein Speer?
Alex kam langsam auf die Füße und wandte sich um. Wenn
sie überhaupt etwas erwartete hätte, wenn sie in der Lage
gewesen wäre, an etwas zu denken, dann hätte sie mit einem
Cheyenne-Krieger gerechnet. Cheyenne waren für die Feier nach
Mira gekommen. Die Cheyenne, diese Romantiker, die die einfache
Lebensart eines früheren Planeten wiederbelebt hatten, benutzten
Speere. Ein Cheyenne konnte möglicherweise – oh ja, das klang glaubwürdig! – zufällig vorbeigeschlendert
sein, tief im Inneren der Genlabore, und hatte einen Speer auf den
mutwillig freigelassenen Löwen geschleudert…
Im Türrahmen stand ein fremdartiger Pelzling, über zwei
Meter groß und auf einen
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