Crush Gier
wenn sie von der Polizei vernommen wurde.
Die Vernehmung war ihr noch lebhaft im Gedächtnis gewesen, als sie am Nachmittag vom Verwaltungsrat des Krankenhauses zu dessen wöchentlicher Konferenz eingeladen wurde, wo man ihr prompt die Position antrug, die auf so tragische Weise frei geworden war.
»Ich weià Ihr Angebot zu schätzen, aber ich muss es leider ausschlagen. Sie hatten mehrere Monate lang Bedenkzeit und sich schlieÃlich für jemand anderen entschieden. Wenn ich jetzt annehmen würde, hätte ich immer das Gefühl, zweite Wahl zu sein.«
Man versicherte ihr, dass Dr. Howell nur eine einzige Stimme mehr als sie bekommen hatte und niemand ihre Eignung für den Posten anzweifle.
»Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ich ablehnen muss«, hatte sie daraufhin ausgeführt. »Ich habe Dr. Howell als Kollegen bewundert, aber er und Myrna sind für mich auch Freunde. Von seinem Tod zu profitieren empfände ich als ⦠obszön. Ich danke Ihnen für das Angebot, aber die Antwort lautet nein.«
Zu ihrer Ãberraschung hatte man sich mit dieser Antwort nicht abfinden wollen und sie beschworen, ein, zwei Tage darüber nachzudenken.
Sie fühlte sich zwar geschmeichelt und bestätigt angesichts dieser Beharrlichkeit, aber damit stand sie vor einer schweren Entscheidung. Natürlich hatte sie die Stelle gewollt und war auch qualifiziert dafür, aber dennoch erschien es ihr falsch, wenn sie ihre Beförderung Lees Tod verdanken sollte.
Und auÃerdem musste sie Wesley berücksichtigen. Falls sie die Position annahm, die für ihn ein mögliches Mordmotiv darstellte, würde sie sich in seinen Augen damit noch verdächtiger machen. Sie befürchtete nicht, dass er etwas finden könnte, was sie belastete. Sie hatte nichts, absolut gar nichts mit dem Mord an Lee zu tun. Doch bis Wesley davon überzeugt wäre, bliebe sie im Fadenkreuz der polizeilichen Ermittlungen. Und das fürchtete sie durchaus und wollte es um jeden Preis vermeiden.
Ihr ging so viel im Kopf herum, dass er sich tatsächlich schwer anfühlte. Sie griff nach hinten, zog das Haarband aus ihrem Pferdeschwanz, schüttelte ihre Haare durch und massierte dann energisch mit den Fingerspitzen ihre Kopfhaut.
Schon vor der Mittagspause hatte sie vier gröÃere Operationen durchgeführt. Das Wartezimmer vor dem OP war gefüllt gewesen
mit den ängstlichen Freunden und Verwandten ihrer und auch anderer Patienten.
Gleich nach jeder Operation war sie kurz herausgekommen, um mit den Angehörigen der Patienten zu sprechen, ihnen Auskunft über das Befinden der Operierten zu geben und zu erläutern, was genau sie getan hatte. Einigen konnte sie sogar Farbfotos zeigen, die während der Operation aufgenommen worden waren. Zum Glück waren die Prognosen der Patienten durchweg gut und die Berichte ermutigend gewesen. Heute hatte sie niemandem schlechte Neuigkeiten mitteilen müssen.
Dank ihres fähigen Teams war auch am Nachmittag in ihrer Praxis alles glatt gelaufen. Nur die Visite im Krankenhaus hatte etwas länger gedauert als üblich. Erst hatte sie die vier frisch Operierten nachuntersuchen und dann drei weitere Patienten über ihre morgen früh angesetzte Operation aufklären müssen. Einer davon musste erst noch zu dem Einlauf überredet werden, der vor seiner Operation fällig war. Die Schwestern hatten sich schon den Mund fusselig geredet und schlieÃlich aufgegeben. Nachdem Rennie mit ihm gesprochen hatte, ergab er sich stillschweigend in sein Schicksal.
Und dann, gerade als sie nach Hause fahren wollte, war noch der Anruf gekommen.
Wenn sie nur daran dachte, bekam sie schon eine Gänsehaut. Schnell trank sie die Plastikflasche mit Wasser leer und warf sie in die Müllpresse. Sie spülte die schmutzige Kanne der Kaffeemaschine aus, bereitete den Kaffee für den nächsten Morgen vor und stellte die Zeitschaltuhr. Sie wusste, dass sie etwas essen sollte, aber schon bei dem Gedanken an Essen wurde ihr übel. Sie war viel zu aufgeregt.
Also lieà sie die Handtasche auf dem Tisch stehen â sie glaubte nicht, dass sie noch die Kraft hatte, sie hochzuheben â und schaltete das Licht aus. Doch gerade, als sie ins Wohnzimmer weitergehen wollte, hielt sie inne und schaltete das Licht wieder ein. Als Erwachsene hatte sie immer nur allein gelebt, doch heute
wollte sie zum ersten Mal, soweit sie sich erinnern
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