Crush Gier
Panikattacke inzwischen her. Es war ihm gut gegangen. Bis heute Abend. Gott sei Dank war es keine schwere und keine besonders lange Attacke gewesen. Er hatte sie als Panikreaktion erkannt und sich Mut zugesprochen, bis er sie überstanden hatte. Vielleicht hatte das Gummiband ja doch geholfen.
Nachdem er fünf Minuten abgewartet hatte, um sicherzugehen,
dass die Attacke vorbei war, lieà er den Motor wieder an. Er nahm die Auffahrt auf den Freeway in Richtung Westen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Sein Kopf war leer â bis auf die Gedanken an Rennie Newton. Chirurgin. Reiterin. Lolita. Mörderin.
Vielleicht war seine Panikattacke durch die schockierende Nachricht ausgelöst worden, dass sie sich als Sechzehnjährige mit einem verheirateten Mann eingelassen hatte. Noch dazu mit einem Geschäftspartner ihres Vaters, der bestimmt viel älter gewesen war als sie. Ein junges Mädchen, das eine intakte Familie sprengte.
Es passte genau zu dem Bild der skrupellosen Lolita, das Crystal von ihr gezeichnet hatte. Ein Mädchen, das barbusig durch die Stadt fuhr, würde auch mit dem Partner ihres Vaters schlafen, seine Ehe zerstören und sich später wahrscheinlich darüber kaputtlachen.
Daltons moralische Mehrheit musste natürlich empört über diese Unzucht gewesen sein. Dazu die tödlichen Schüsse auf den Geschäftspartner ihres Vaters, und man brauchte sich nicht darüber zu wundern, dass Rennies Eltern sie in ein Internat abgeschoben hatten.
Trotzdem passte all das so gar nicht zu der Frau, die Wick kennen gelernt hatte. Zugegeben, er war ihr nur zweimal persönlich begegnet, doch nach allem, was er beobachtet hatte, glaubte er ihren Charakter ziemlich gut erfasst zu haben.
Weit davon entfernt, sich als Partygirl hervorzutun, lebte sie in beinahe nonnenhaft Enthaltsamkeit. Und statt ihre erotischen Reize zu betonen, schreckte sie vor jeder Berührung zurück und hatte ihn sogar mit einem »Nicht« abgewehrt, als er nur ihre Wange berühren wollte.
Benahm sich so eine Femme fatale?
Dass er die beiden Rennie Newtons nicht unter einen Hut brachte, trieb ihn noch in den Wahnsinn, und zwar aus Gründen, die nichts mit Rennies Kontakten zu Lozada oder mit dem Mord
an Howell zu tun hatten. Er hatte jede Objektivität verloren, das war auch Oren aufgefallen. Nur darum behielt Oren ihn ununterbrochen im Auge und folgte ihm hartnäckig wie ein verdammter Bluthund.
Trotzdem konnte er nicht wirklich wütend auf Oren sein. Okay, er war sauer, dass sein Freund so fest zugeschlagen hatte, und Oren täuschte sich gründlich in Rennie. Aber er tat nur seine Pflicht. Er hatte Wick geholt, weil er Hilfe gebraucht hatte, und sich stattdessen nur zusätzliche Schwierigkeiten eingehandelt.
Plötzlich ging Wick auf, dass er keineswegs so ziellos durch die Gegend gefahren war, wie er geglaubt hatte. Er war in der StraÃe, in der er aufgewachsen war. Vermutlich hatte ihn sein Unterbewusstsein hierher geführt. Vielleicht musste er zu seinen Wurzeln zurückkehren, vielleicht brauchte er neue Erdung. Direkt vor seinem Elternhaus stellte er den Pick-up am StraÃenrand ab.
Kurz nach Joes Tod hatte er das Haus verkauft. Es war ihm wie ein Sakrileg vorgekommen, ohne Joe darin zu wohnen. Er wusste nicht, ob das Pärchen, das ihm damals das Haus abgekauft hatte, immer noch darin lebte oder ob das Anwesen noch einmal den Besitzer gewechselt hatte, doch die augenblicklichen Bewohner gingen gut damit um. Selbst im Dunkeln konnte er erkennen, dass das Gebäude und der Garten in Schuss waren.
Das St.-Augustine-Gras war ordentlich geschnitten und die Ränder gesäubert, die Sträucher waren gestutzt. Die Fensterläden waren in einer anderen Farbe lackiert als damals, doch er glaubte, dass sie seiner Mutter gefallen hätten. Ihr Rosenbeet an der Ostwand stand in voller Blüte.
Er meinte seinen Vater zu hören: »Ihr Jungs solltet euch was schämen.«
»Ja, Paps.«
»Ja, Paps.«
»Eure Mutter ist so stolz auf ihre Rosen, das wisst ihr ganz genau.«
»Es war keine Absicht«, murmelte Wick.
»Aber sie hat euch eingeschärft, nicht neben ihrem Rosenbeet Ball zu spielen, oder?«
Wick hatte einen Pass fangen wollen, den sein älterer Bruder geworfen hatte. Der Ball war im Rosenbeet gelandet â zusammen mit Wick. Bis er sich wild zappelnd aus den Ranken befreit hatte, hatte er mehrere Pflanzen dicht über
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